Beim deutschen Staatsfunk schreiben sie aktuell: »Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang sieht die Demokratie in Deutschland stark gefährdet.« (zdf.de, 2.4.2024).
Ja, das meinen die ernst. Und Herr Haldenwang wohl auch. – Moment, lasst mich präzisieren: Die wollen, dass wir das ernst nehmen. Ob sie es selbst ernst meinen, ob sie es selbst ernst nehmen oder auch nicht, ist eine andere Frage. (Ob Politiker immer selbst ernst nehmen, wovon sie wollen, dass wir es ernst nehmen, konnten wir etwa an deren Verhalten in der jüngsten offiziellen Großpanik beurteilen.)
Anlass für den aktuellen Artikel beim Staatsfunk aber war ein Meinungsstück von Haldenwang für die FAZ (faz.net, 1.4.2024). Dort gibt er vor, auf aktuelle Kritik am Verfassungsschutz einzugehen. Er zitiert sogar Begriffe, die in kritischem Geist für diese Behörde verwendet wurden, etwa »Gesinnungspolizei« oder »Regierungsschutz«.
Er hält die Meinungsfreiheit hoch, lobt sie sogar – nur um sie sogleich zurechtzustutzen: »Auch die Meinungsfreiheit hat Grenzen.«
Als anständiger Bürger will man natürlich nicken. Natürlich hat Meinungsfreiheit ihre Grenzen, das wird ja auch im Artikel 5 des Grundgesetzes festgelegt. Meinungsfreiheit findet »ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre«.
Legitim ja, aber …
Doch das ist offenbar nicht das, was Haldenwang meint.
Innenministerium und Verfassungsschutz verkünden geradezu stolz und immer wieder, dass »auch schon solche Meinungsäußerungen für eine Beobachtung relevant sein« können, »die keinen Straftatbestand erfüllen.« (zdf.de, 2.4.2024)
In jenem Meinungsstück in der FAZ (das vermutlich realiter von einem ganzen Stab an Mitarbeitern geschrieben und geschliffen wurde) wird in mehreren Absätzen ausgeführt, warum auch vollständig legale Äußerungen einen missliebigen Bürger zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes machen können.
Deine Kritik an der Regierung kann nach allen Gesetzen legal sein. Wenn aber der Verfassungsschutz bei deiner Bank anruft oder bei deinem Arbeitgeber, und klarmacht, dass sie dich beobachten, dann bist du ohne Gesetz, ohne Verfahren und ohne Urteil vernichtet.
Das einzig Auffällige
Ich hörte im Leben immer wieder die Legende vom Feuerwehrmann, der besonders mutig beim Feuerlöschen dabei war, der besonders schnell die Feuerherde fand – und dann stellte sich heraus, dass er selbst der schlimme Feuerteufel war, der die Brände gelegt hatte.
Besonders aus den USA hört man immer wieder Erzählungen von Pastoren und konservativen Politikern, die jahre- und jahrzehntelang super laut gegen Homosexualität wettern, nur um dann irgendwann – aus Unachtsamkeit – selbst als flamboyante, aber heimliche Schwule geoutet zu werden.
Und ebenfalls aus den USA kennen wir den Fall des Robert Hanssen (siehe engl. Wikipedia), der beim FBI explizit dafür zuständig war, sowjetische Agenten zu enttarnen – und sich später als ein genau solcher herausstellte. (Bis zu seiner Enttarnung als sowjetischer Spion war seine lautstarke Abneigung gegen den Kommunismus das einzig Auffällige an Robert Hanssen.)
Und schließlich kennen wir im Deutschen die Metapher vom Dieb, der »Haltet den Dieb!« ruft, um davon abzulenken, dass er doch selbst der Dieb ist.
Wenn nun also »Verfassungsschützer« Haldenwang die Demokratie in Gefahr sieht, denken kritische Geister an all diese Metaphern, wo derjenige, der für die Gefahr verantwortlich ist, am Lautesten davor warnt.
»Grundgesetz« (arr. T. Haldenwang)
Vergessen wir nicht: Es war Herr Haldenwang, unter dessen Ägide das dystopische Konzept der »verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates« entstand. (Ich schrieb mehrfach darüber, etwa im Essay vom 17.1.2022.)
Schon in einem Essay aus dem Jahr 2019 notierte ich die gefährliche Neigung des Verfassungsschutzes, sich als »Hobby-Philosophen« auf dem Niveau von Philosophie-Erstsemestern zu betätigen und dabei ihre geradezu vulgär amateurhaften Begriffsdefinitionen als Grundlage für die geheimdienstliche Arbeit zu verwenden.
Wir mögen uns als juristische Laien bisweilen über die ultrapräzise Sprache der Juristerei mokieren, doch diese Präzision ist zwingende Voraussetzung des Rechtsstaats. Nur wenn die Sprache der Regeln präzise ist, kann der Bürger wissen, was erlaubt ist und was nicht.
Indem Haldenwang unscharfe Begriffe wie »Delegitimierung« einführt – mit Rückendeckung des Ministeriums, aber am Parlament vorbei! –, kann der Inlandsgeheimdienst praktisch jeden politischen Gegner der Regierung unter geheimdienstliche Beobachtung nehmen, bis sich irgendwas findet, woran der Feind dann wirklich »aufgeknüpft« werden kann.
Diese Bullshit-Vokabel »Delegitimierung«, die prinzipiell jede Kritik an der Regierung bezeichnen kann, ist nicht der einzige offene Angriff des Verfassungsschutzes auf die Werte der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie.
Die Steigerung
Nach außen hin aber scheinen Haldenwang und der Rest des Propagandastaates eine neue Kampfvokabel gefunden zu haben, und diese Vokabel ist eine sehr alte. Es ist der »Feind«, oft als Bestandteil zusammengesetzter Worte.
Das Meinungsstück in der FAZ enthält das neue Kampfwort »Feind« schon im Titel: »Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief für Verfassungsfeinde«.
Wir wissen aus Erfahrung, dass Gestalten wie Faeser und Haldenwang wenige Grautöne kennen, dass sie in scharfen Freund-Feind-Mustern denken. Inzwischen sagen sie es aber auch offen. Andersdenkende sind also nicht mehr nur eben Andersdenkende, nicht einmal mehr nur »Rechte«, »Schwurbler« und so weiter – jetzt sind sie Feinde, und zwar »Verfassungsfeinde«.
Und wenn ihr denkt, dass ich bei all dem übertreibe, dass ich etwas missverstehe oder allzu überspitzt polemisiere, dann lasst mich bitte einfach direkt aus dem eingangs erwähnten ZDF-Text zitieren, und zwar aus einer Bildunterschrift, in der sich diese Leute versehentlich selbst entlarven.
Linkslogischer Lapsus
»Thomas Haldenwang«, so steht da, »warnt vor einer zunehmend demokratie-feindlichen Gesellschaft«.
Denkt mal bitte eine Sekunde darüber nach: Was genau soll eine »demokratie-feindliche Gesellschaft« sein?
Es gibt Demokratie-feindliche Politiker, Demokratie-feindliche Journalisten, auch ein Demokratie-feindliches Innenministerium und ein Demokratie-feindlicher Verfassungsschutz sind theoretisch denkbar.
Doch was soll eine »demokratie-feindliche Gesellschaft« sein? Eine Gesellschaft, die etwas anderes will, als die Gesellschaft will?
Spätestens, wenn die Funktionäre des Propagandastaates wieder die alten Propaganda-Vokabeln »Hass und Hetze« beziehungsweise – jetzt neu! – »hasserfüllte Hetze« auffahren, wissen wir, dass es nur wieder um die uralte, primitive und seit den Neandertalern aktive Motivation geht: Macht um jeden Preis.
Deutschland insgesamt
Haldenwang sagt, er sähe die »Demokratie« in Deutschland gefährdet. Nun, ich sehe Deutschland insgesamt »stark gefährdet«, inklusive Demokratie, Freiheit und Wohlstand.
Und einige derer, welche die Demokratie und die Freiheit klauen, sind womöglich genau die, die am lautesten »Haltet den Dieb!« rufen.