Dushan-Wegner

10.09.2020

Gefährlich das Land, das sich Helden baut

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Arjan Stalpers
Parteien, deren Anhänger teils »All Cops Are Bastards« grölen oder gegen »Bullen« kämpfen, springen im Parlament zum geheuchelten Polizei-Applaus auf. Die AfD verweigert sich dem verlogenen, propaganda-artigen Schauspiel. Warum nur die AfD?
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Im November 2017 schrieb ich den Text »Land, das Helden nötig hat«. Ich zitierte darin – man ahnt es aus dem Titel – Brechts Galilei: »Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.« – Ich warnte davor, was es bedeutet, wenn ein Land, wie Merkel-Deutschland, neuer »Helden« zu bedürfen scheint:

Lassen Sie es mich offen, deutlich und sehr persönlich sagen: Dass es in Europa wieder Helden auf den Straßen braucht, ist das Gegenteil des Europas, das ich mir einst erhoffte. (Essay vom 4.11.2017)

Heute, drei Jahre später, wird mir eine neue Bedeutung derselben Galilei-Mahnung bewusst. Diese andere Bedeutung könnte (und soll) in denselben Worten münden. Ausführlich(er) formuliert klingt sie aber so: »Gefährlich das Land, wo die Propaganda neue Helden aufbaut.«

Häufig extra menschlich

Der deutsche Bundestag ist kaum noch Raum echter Debatte – und es tut mir weh. Wer (außer gelegentlich der genau dafür dämonisierten größten Oppositionspartei) sagt denn noch irgend etwas wirklich Inhaltliches außer »Europa alternativlos!«, »Immigration alternativlos!«, »Schuldenunion alternativlos!« und »Opposition doof!«? (Und ja, meine Frage ist neutral. Ich verhalte mich zu den Parteien wie der Agnostiker zu den Göttern – ich glaube nicht an sie.)

Im Propagandastaat Deutschland wurde auch der Bundestag zum Ort von Inszenierung durch Merkel-nahe Parteien, die man als nüchterner Beobachter durchaus »propaganda-artig« nennen könnte, zuletzt am 9. September 2020.

Journalisten titeln: »Als die Abgeordneten den Polizisten applaudieren, bleibt die AfD sitzen« (welt.de, 9.9.2020)

Im Text unter jener Schlagzeile fehlen leider wichtige Informationen. Kann ja mal passieren! Menschen machen Fehler, und gerade bei Fehlern zu Ungunsten der Merkelkritiker sind deutsche Journalisten häufig extra menschlich.

Wolfgang »schwarzer Koffer« Schäuble eröffnet die Sitzung vom 9. September 2020 mit dem Gedenken an die Opfer der Morde der NSU vor 20 Jahren. Schäuble leitet über zur Ermahnung, dass Demonstrationen gewaltfrei sein sollen, übrigens auch die der Linksextremisten in Leipzig. (Man kann es auf bundestag.de nachlesen: dipbt.bundestag.de/doc/btp/19/19172.pdf, ab laufende Seite 21513; und als Video selbst anschauen: bundestag.de, 9.9.2020, diese Stelle ab ca. 5:30)

An einer bestimmten Stelle – jene, welche in obiger Überschrift erwähnt ist – springen die meisten Abgeordneten von umbenannter SED bis zur Splitterpartei FDP auf, um demonstrativ zu applaudieren, und es sind Polizisten auf dem Zuschauerbalkon anwesend, doch lesen wir, was Schäuble unmittelbar davor sagte:

Dafür danke ich im Namen des ganzen Hauses den am Einsatz Beteiligten, und ich begrüße neben dem Berliner Innensenator Andreas Geisel als ihrem Dienstherrn auf der Tribüne die Beamten, die sich den Randalierern entgegengestellt haben, gemeinsam mit weiteren Kollegen und stellvertretend für alle Sicherheitskräfte. (Schäuble, bundestag.de, 9.9.2020, laufende Seite 21514)

Ich sehe nicht nur einen, sondern eine Reihe von Gründen, nicht aufzustehen.

Erstens: das frühere SED-Mitglied Andreas Geisel, der eben noch eine Anti-Merkel-Demonstration verbieten lassen wollte (und zur Begründung im grenzwertig verfassungsfeindlichen Duktus irgendwas von »Bühne bieten« faselte), gehört mit Schande entlassen, nicht ausgerechnet im Parlament bejubelt.

Zweitens: Anhänger etwa der umbenannten SED und jener Partei mit dem Kindesmissbrauchsproblem äußern sich wiederholt offen polizeifeindlich, bekennen sich selbst im Bundestag zur demokratie- und polizeifeindlichen Antifa (samt dem anti-demokratischen Kampfspruch »All Cops Are Bastards«, siehe etwa fr.de, 6.1.2019). Die SPD-Chefin selbst hat jüngst erst der deutschen Polizei weit verbreitete rassistische Einstellungen vorgeworfen. Wenn diese Leute im Bundestag aufstehen, um der Polizei zu danken, ist es zynischer und verlogener Hohn – wie könnte ein anständiger Abgeordneter mit diesen Leuten aufstehen?

Drittens: Die Hochstilisierung der drei Polizisten zu »Helden« erfüllt viele Eigenschaften, die es braucht, blanke Propaganda genannt zu werden. Die Legende von den »drei Helden« erinnert an die von Regierung und Staatsfunk verbreitete Chemnitzlüge. Drei Polizisten haben im Alleingang wirklich Hunderte zum »Sturm« bereiter Rechtsextremer aufgehalten? Ich bitte Sie …

Im real existierenden Propagandastaat mit seinem monsterhaften Staatsfunk und seinen von der Regierung co-finanzierten Zeitungen lernen wir (wieder) neue Begriffe, heute: »Ovations-Boykott« (welt.de, 10.9.2020). Die AfD hat sich des »Ovations-Boykotts« schuldig gemacht. Die Journalisten und Politiker in Deutschland, so fürchte ich, merken bereits nicht mehr, wie abgedreht und orwellsch ihr Neusprech ist.

Es wirkt wie eine propagandistische Inszenierung, und man fragt sich (oder: eigentlich nicht mehr), was mit Abgeordneten und Journalisten nicht stimmt, die sich derart offensichtlich zum willigen Werkzeug der Regierungs-Talking-Points machen.

Selbst und manchmal gerade das wahre

Deutschland wird zu einem Propagandastaat, und das in erschreckendem Tempo. Die Redaktionen werden zu Kasernen der Globalisten, die Journalisten zu braven Soldaten.

Alle Regierungen und alle Politiker lügen manchmal, und sei es die Lüge durch »strategisches Weglassen«. Jedoch: Im Propagandastaat verkommen jedes Wort und jede Geste zu einer Lüge, auch jene, die man sonst Wahrheit nennen würde.

Der Heldenkult ist eine höhere, diabolischere Form der Lüge. Die DDR kannte den Held der Arbeit (siehe dazu Wikipedia und auch den Essay vom 19.1.2018). Am Höhepunkt der China-Virus-Angst wurde von den »Corona-Helden« in den Krankenhäusern geredet – als Dank für ihr Heldentum erhielten sie Erdnüsse (kurier.at, 3.9.2020). Nicht nur im Krieg ist »Held« ein Euphemismus für »Kanonenfutter«.

Wenn ein Politiker »Held« sagt, ließe es sich oft ersetzen mit: »Einer, der meine Macht stabilisiert.«

Jeder Heldenkult ist die Aufforderung, sich zu opfern für Macht und Ziele der Mächtigen. Zu den drei Polizisten vorm Reichstag wird die Heldenlegende entworfen, sie hätten als drei neue deutsche Siegfriede, als neue deutsche Drachentöter, zu dritt und jeder allein Fafnir erschlagen. Es wirkt in Sache und Tonlage falsch – schon deshalb, weil die »Drachenbrut«, dieser »der elende Rest dessen, was zum Glück überwunden wurde« (Wolfgang Biermann, deutschlandfunk.de, 7.11.2014) feist und dreist im Bundestag sitzt und zynisch mitapplaudiert.

Dereinst »Helden« nennen werden

Niemand ist ein Held, man wird ein Held genannt. Ob die Tatsache, dass man ein Held genannt wird, einen adelt oder einen verdammt, das hängt von den Zeiten und Umständen ab. Nicht selten sagt es auch so-gut-wie-nichts über den Menschen aus, dass er ein Held genannt wird. (Nicht wenige Helden sind rein mythische Kreaturen.)

Der Heldenkult soll den einfachen, verschreckten Bürger bewegen, sein eigenes Leben und Wohlergehen zu opfern, um die Macht der Mächtigen zu bewahren.

Ich sage: Sucht nicht danach, dass die Mächtigen euch »Helden« nennen, sehnt euch nicht danach, jenen zu folgen, welche die-da-oben als »Helden« preisen. Ein »Held« genannt zu werden ist ein wertloser Preis für einen viel zu teuren Gegenwert, sie geben euch Worte und verlangen dafür euer Leben.

Vielmehr: Seid die Menschen, die eure Enkel und Urenkel dereinst »Helden« nennen werden. (Ich sage Enkel, nicht Kinder, und der Grund ist bitter: Nicht wenige der heute im Propagandastaat Deutschland aufwachsenden Kinder wirken allmählich wie gehirngewaschene Roboter, wie kleine Automatons mit gläsernen Augen, welche die Lügen und das Gift der Propaganda nachplappern; siehe auch »Hast du deinem Verräter die Windeln gewechselt«. Man hofft auf die Generationen nach dieser – dass es bitter ist, macht es noch nicht falsch.)

Nicht der fiebrigen Entzündung

Wir sagen heute: Gefährlich das Land, das sich Helden baut!

Sehnt euch nicht danach, von den Mächtigen über den Kopf gestreichelt zu bekommen, während sie euch »Helden« nennen und »nützliches Steinchen meiner Macht« meinen.

Wenn ihr, entgegen aller Warnung, doch Helden sein wollt, dann bedenkt bitte Lessings Mahnung (siehe zeno.org): »Was ist ein Held ohne Menschenliebe!« – Ein Mensch, dessen Heldentaten anderen Instanzen als seinen Mitmenschen dienen, für so einen ist »Held« vielleicht nicht der richtige Name.

Wenn ihr, entgegen aller Warnung, doch Helden sein wollt, dann seid zuerst und zuletzt Helden vor eurem eigenen Gewissen – und zwar einem wohlerforschten Gewissen, welches Verantwortung trägt und die Folgen der Handlungen bedenkt, folgt eurem echten Gewissen und nicht jener fiebrigen Entzündung, welche die Gutmenschen ihre »Moral« nennen.

Wenn ihr, entgegen aller Warnung, doch Helden sein wollt, dann bedenkt zumindest die Lehre der Geschichte: Später, als der Nebel des Krieges verzogen war, nannte man bislang stets jenen einen »Helden«, der genau dann sitzen blieb, wenn die Masse um ihn herum aufsprang, um blind und blöd »Hurra!« zu brüllen.

Weiterschreiben, Wegner!

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