07.03.2022

Die letzte Krise (von der wir erfahren werden)

von Dushan Wegner, Lesezeit 14 Minuten, Foto von Eugene Mykulyak
In Afghanistan bewaffnete man einst lokale Krieger zum Kampf gegen sowjetische Truppen, die Folgen kennen wir. Heute liefert man Waffen in die Ukraine, wo es echte Nazi-Gruppen gibt. Was ist eigentlich der westliche Plan für »danach«?
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Mein Lieblingswitz lautet bekanntlich: Ein junger Mann fragt den Rabbiner, wie man verhüten solle. Der Rabbiner erklärt: Einen Apfel essen! – Der junge Mann hakt nach: Davor oder danach? – Der Rabbiner erklärt: Stattdessen!

Haha! Finden Sie nicht so lustig? Tja, es ist mein Lieblingswitz, seit Jahrzehnten schon. Wo wir aber von Rabbinern reden: Ich habe gehört, dass wenn einer zum Rabbiner kommt, um sich einen Traum deuten zu lassen, der Rabbiner erst zurückfragen soll, was man am Abend zuvor gegessen habe.

Wenn der Träumende am Vorabend viel Fettes speiste und mit vollem Magen zu Bett ging, dann muss streng geprüft werden, ob ein wilder Traum nicht weniger eine prophetische Botschaft transportiert, als vielmehr und schlicht der schweren Magenlast zuzuschreiben ist.

Nun, gestern briet Elli wunderbare Steaks für die Familie. Dazu gab es Kartoffelschnitze, Gemüse aus dem Ofen, ein spanisches Getränk und auch einen italienischen Nachtisch. Lecker, lecker, lecker.

Es ist schön, den Luxus genießen zu dürfen, nicht im Krieg zu sein.

Das gute Essen und das Wochenende mit Familie, samt Nachbarhund (zu diesem siehe auch den Essay vom 14.9.2021), ließen mich glücklich, satt und auch erschöpft schlafen gehen.

Mein Schlaf war kein ruhiger. Ich träumte, und wie ich träumte! Was für ein ungewöhnlicher Traum war es doch, der mich hin und her warf.

Am Abend zuvor hatte ich redlich – und streckenweise sogar erfolgreich – versucht, nicht an Politik zu denken. Wir kennen aber die Übung mit dem Elefanten, wo es unmöglich ist, nicht an einen Elefanten zu denken, wenn einem gesagt wird, man solle nicht an einen Elefanten denken, und Kriegsherren sind ohne Zweifel solche »Elefanten« (wie ich ja jüngst schrieb).

Letzte Nacht trampelte ein böser Elefant in meinen Schlaf, und zwar in Form der Worte einer dürren Taube, und so träumte ich verrückte Dinge – sehr verrückt und sehr politisch, was heute ja schmerzhaft häufig einhergeht.

Ich träumte von den Nachrichten des Tages. Ich träumte von der Ukraine und von Russland. Ich träumte von Europa und aus irgendwelchen Gründen auch von Sicherheitsbehörden, von kaputten Panzern und von Nazis – wovon man eben so träumt, wenn das tellergroße Steak sich einen Weg durch das Innere sucht.

Ich träumte, dass eine dürre Taube mit einem gebrochenen Flügel sich auf meine Schulter setzte, und die Taube gurrte dies zu mir: »Als Putin sagte, er wolle die Ukraine entnazifizieren, meinte der damit nicht eine Handlung in der Gegenwart, sondern ein Kooperations-Versprechen für die Zukunft!«

»Was weißt du schon«, sagte ich im Traum, »du bist doch nur ein Vogel mit einem kaputten Flügel!«

»Ich bin nur ein dürrer Vogel, das ist wahr. Ich habe einen schlechten Flügel, und einen guten, auch das ist wahr. Du aber bist ein gesunder Mann, und hast doch überhaupt keinen Flügel, nichtmal einen«, so sagte die Taube, und ich schämte mich.

Die Taube sprach weiter, nun wieder von der Politik: »Die Welt scheint von einer großen Krise in die nächste zu stolpern. Währungskrise, Migrationskrise, Covidkrise, Krieg – der muss nicht extra ›Krise‹ genannt werden – was meinst du also, du großer, gesunder Mann, welche Krise als nächstes geschehen wird?«

Ich rülpste im Traum, die dürre Taube schüttelte sich, und sie sprach weiter: »Die nächste Krise ist längst angekündigt. Wie bei Covid-19 hatte man die Maßnahmen gegen sie bereits begonnen, bevor sie uns überhaupt bewusst wurde, und es spielt keine Rolle, wessen Name zu dieser oder jener Zeit als Präsident oder Kanzler genannt wird, ob Trump oder Biden, ob Merkel oder Scholz, die nächste Krise ist die…«

An dieser Stelle schaute sich die dürre Taube um, als wollte sie prüfen, ob uns jemand zuhört, doch dies war mein Traum, nach einem guten Steak, und in diesem Traum waren die dürre Taube und ich allein. Ich musste also annehmen, dass sie sich nur des dramatischen Effektes halber umschaute, beinahe so wie ein Essayist, der des Dramas halber einen verzögernden Absatz einschiebt.

»Sag schon!«, sagte ich zur Taube, und die Taube sagte also: »Die nächste große Krise ist die Unsichtbare-Globale-Nazi-Terroristen-Verschwörung.«

Das Traum-Ich sagte zur Traum-Taube: »Bitte was?!«

Die Traum-Taube antwortete dem Traum-Ich: »Überleg doch mal. Was haben die Krisen der letzten Jahrzehnte gemeinsam? Egal was passiert, egal innerhalb welcher Staatsform, und egal ob es Sinn ergibt oder nicht, immer reagieren die höheren Mächte damit, es etwas schwerer und oft gefährlicher zu machen, die Regierung zu kritisieren oder gar – was noch schlimmer ist – die ›Wahrheit des Tages‹ zu hinterfragen.«

»Soso«, sagte ich im Traum lakonisch, »und was bedeutet das nun für die nächste Krise?«

Die Taube sagte, noch lakonischer als ich: »In der Corona-Krise haben sie gezeigt, dass man mit bis dahin unvorstellbaren Einschränkungen der Freiheit gegen einen unsichtbaren Feind vorgehen kann, dass ein jeder Bürger dein Feind sein kann, wenn er nicht der Regierung gehorcht, dass der Ungeimpfte als Aussätziger und Feind zu behandeln ist, selbst dann, wenn der Geimpfte zum dritten Mal an Covid-19 erkrankt und der Ungeimpfte weiter entspannt gesund sein sollte.«

»Ja«, sagte ich, »und?«

»Ja, und?«, äffte mich die Taube nach, doch sie erklärte dann auch: »Der letzte Schritt wird es sein, alle Covid-19-Denkweisen und Methoden gegen einen unsichtbaren Feind einzusetzen, der dann fast nur in den Köpfen sein wird, fast nur in den Gedanken, und sonst fast nirgends, in den Köpfen aber mit maximaler Kraft bekämpft werden muss, ob es die Freiheit kostet, die letzte Illusion sogenannter demokratischer Werte oder sogar viel zu viele Menschenleben.«

»Wer und was sollte das sein?«, fragte ich.

Die Taube fragte zurück: »Wen hat der US-Generalstaatsanwalt William Barr schon unter Trump zum neuen Gegner erklärt?«

Ich erinnerte mich wage: »Barr hatte verfügt, dass man präventiv vorgehen wolle gegen ›mass shootings‹ (cnn.com, 1.11.2019), basierend auf aktuellen Taktiken unter anderem des FBI.« (siehe auch Memorandum-Kopie als PDF auf documentcloud.org)

Die Taube nickte, und obwohl Tauben ja immerzu nur zu nicken scheinen, wusste ich im Traum, dass dies ein bejahendes Nicken war, denn sie sagte weiter: »Richtig! Das Stichwort ist ›präventiv‹. Wir denken hier an ›Minority Report‹, und immer wieder an ›1984‹ – Menschen sollen für eine Tat bestraft werden, bevor sie die Tat begehen.«

Ich fragte: »Wen wird man denn präventiv verfolgen und bestrafen?«

Die Taube sagte: »Du weißt es doch. Wer gilt in Deutschland als der große Universalfeind? Wie nennt man Leute, welche die eine erlaubte Wahrheit hinterfragen?«

Das war keine schwere Frage, die Antwort war: »Nazis.«

Die Taube mit dem einen gebrochenen Flügel nickte wieder, und sie sagte: »Bidens Leute haben 2021 eine ›Nationale Strategie gegen einheimischen Terrorismus‹ veröffentlicht (siehe PDF auf whitehouse.gov und justice.gov), und sie geben unmissverständlich und wörtlich an, dass für sie die größte Gefahr – sprich: der am aggressivsten zu bekämpfende Feind – das US-Äquivalent zum deutschen Polit-Kampfbegriff ›Nazi‹ ist, der ›White Supremacist‹ (nytimes.com, 12.5.2021(€): »Top law enforcement officials say the biggest domestic terror threat comes from white supremacists.«, auch reuters.com, c-span.org).«

»Wie viele Anschläge haben diese denn tatsächlich begangen, wieviel hatten sie geplant?«, fragte ich, und die Taube antwortete: »Nun, das kann man debattieren. Man liest immer wieder, dass das FBI zumindest bei sogenannten ›islamistischen‹ Terror-Ideen involviert sein könnte, wohl um potentielle Terroristen anzulocken und dann verhaften zu können (nytimes.com, 29.4.2012(€): »Terrorist Plots, Hatched by the F.B.I.«; buzzfeednews.com, 17.11.2015: ›How The FBI Invents Terror Plots To Catch Wannabe Jihadis‹; und aus der Zeit, als ›politisch links‹ noch ›systemkritisch‹ enthielt: motherjones.com, 11/2011: ›The Informants – The FBI has built a massive network of spies to prevent another domestic attack. But are they busting terrorist plots—or leading them?‹)«

Im Traum wirkt manches ganz gewöhnlich und selbstverständlich, was im realen Leben als reichlich ungewöhnlich auffiele, etwa dass eine dürre Taube mit einem kaputten Flügel über Politik redet und Belegstellen anführt – es war aber nun mal ein Traum nach ausgezeichnetem Steak, und da dürfen auch mal Tauben ausführlich Quellen zitieren – nicht einmal im Traum fiele mir ein, auf das intellektuelle Niveau einer Politiker-Promotion zu sinken.

Die Taube streckte ihren einen gesunden Flügel, und dann streckte sie auch noch ihren Hals, um die Wirbel gerade zu bekommen, dann schaute sie in meine Augen, erst mit dem einen ihrer Augen, dann mit dem anderen, und dann sagte sie endlich: »Wenn man eine Terrorgefahr ›brauchen‹ sollte, würde man sie ›produzieren‹ können – doch man braucht sie nicht, man braucht nur einen Aufhänger, einen fernen Anlass, und sei es in der Ukraine, der beliebig aufgeblasen werden kann.«

»Man braucht keine Gefahr, um gegen Gefahr zu kämpfen?«

»Nein«, sagte die Taube, »man hat ja längst im öffentlichen Diskurs etabliert, dass das Äußern abweichender Gedanken und kritischer Fragen eine Form von Gewalt darstellen kann. ›Hate Speech is violence‹ heißt es in den USA und ›Querdenker sind Terroristen‹ heißt es in Deutschland.«

Ich wollte vorsichtig nachfragen: »Handelt es sich nicht vielleicht wirklich um einen Kampf gegen weißen Rassismus?«

»Ach was«, seufzte die Taube (ja, im Traum können auch Tauben seufzen), »mancher angebliche ›white supremacist‹ stellt sich etwa als Latino heraus (cnn.com, 1.10.2020), auch deshalb definierte man ›Rassismus‹ komplett um, und es ist schon lange nicht mehr überraschend, wenn weiße Linke im Namen des Kampfes gegen Rassismus auf Schwarze einbrüllen, wenn diese der erlaubten linken Einheitsmeinung widersprechen, und aktuell verbinden sie es auch mit Maskenpflicht (siehe @realcandaceo, 21.1.2022), und das wiederum ist so logisch folgerichtig wie entlarvend, denn es geht zuerst und zuletzt um Gehorsam, die vorgeschobenen Inhalte dieses Kampfes gegen Abweichler (»gegen Virus«, »für Schwarze«) sind wenig mehr als ein fadenscheiniges Alibi für die Erzwingung von Gehorsam.«

»Äh, gut«, sagte ich, »aber was hat das alles mit dem Krieg in der Ukraine zu tun, mit Putin und der Zukunft?«

Die Taube atmete tief ein, füllte ihre kleinen Taubenlungen mit Luft, und sie sagte: »Ich bin enttäuscht von dir, du Essayist! Ich dachte, du könntest das, was in meiner Erklärung noch fehlt, selbst zu Ende zeichnen.«

»Vielleicht liegt mir das Steak noch schwer im Magen«, sagte ich (selbst im Traum dachte ich daran), »oder vielleicht fehlt mir der innere Mut.«

»Sogar im Traum noch ein Feigling«, murmelte die Taube, doch sie erbarmte sich meiner: »Die nächste große Krise, und die letzte Krise dieses Abschnitts der Menschheitsgeschichte (genauer: die letzte Krise, von der die breite Masse erfährt), wird zentrale rhetorische und technische Krisen-Abwehr-Maßnahmen der letzten Krise vereinen. Man wird ›gegen Nazis‹ kämpfen und ›Ungehorsame in den eigenen Reihen‹ meinen (schon heute empfinden Linke gewisse Lust daran, Juden als ›Rechtsaußen‹ zu bewerten oder mit ›Nazis‹ gleichzusetzen), gegen ›white supremacists‹ (die nach tatsächlicher linker Anwendung des Begriffs auch von dunkler Hautfarbe sein können), und man meint in Wahrheit immer wieder das eine: Gegen Abweichler, Andersdenkende, Kritiker der jeweils vorgegebenen und einzig-akzeptablen Meinung. Die Globale-Nazi-Terroristen-Krise wird die eine Krise sein, hinter der alle anderen Krisen versteckt werden können – und wer das kritisiert, der ist logischerweise ein Nazi und also der Feind.«

»Ahem«, räusperte ich mich, »wo ist nun die Verbindung mit Putin und der Ukraine?«

»Meine Güte«, schimpfte die Taube, »bist du wirklich so langsam? Na gut. Was erwächst aus Kriegsgebieten heutzutage, wenn die Kriegshandlungen zu lange andauern oder kein stabiles, befriedigendes Ende finden?«

Ich wagte eine Antwort: »Terroristen?«

Die Taube verdrehte die Augen (was im Traum möglich ist), bestätigte aber, und sie sagte: »Und wann entstehen Terroristen in Kriegs- und Nachkriegsländern?«

Ich versuchte: »Wenn keine Seite wirklich gewann, und wenn es den militärischen Sieger nicht gelang, auch die Herzen und Alltagskultur der Menschen für sich zu gewinnen?«

»Na, etwas weißt du doch«, lobte die Taube mich (wenn auch spürbar herablassend), »wenn der Westen die Ukrainer aufrüstet, um gegen die russischen Besatzer zu kämpfen, könnten einige davon auch nach diesem Krieg weiter Anschläge durchführen wollen, gegen die Instanzen, die sie dann als Feinde ausmachen. Woher und warum hatten denn die Mudschāhidīn in Afghanistan ihre Waffen? Von den USA. Die CIA finanzierte sogar Schulbücher, welche die Kinder politisch nützliches Hassen lehrten (so Washington Post vom 23.3.2002, via globalissues.org). Manche sagen, aus den Mudschāhidīn hätte sich Al Qaeda entwickelt, die Terrorgruppe hinter 9/11. Es könnte sich auch in der Ukraine eine echte Terrorgefahr entwickeln, wenn es sie nicht schon gibt, und man wird diese Gruppen ›Nazis‹ nennen, da es dort ja ohnehin auch bekanntlich echte (Neo-) Nazis gibt (für konkrete Namen siehe etwa nbcnews.com, 5.3.2022; für Informationen zur Verflechtung von echten Nazi-Gruppen und ukrainischer Gesellschaft siehe etwa aljazeera.com, 1.3.2022).«

Die Taube wartete nun gar nicht mehr ab, ob ich ihr folgte, und sie erklärte ihre wilde Theorie weiter: »Der Westen schifft jetzt Tonnen und Tonnen an Waffen in die Ukraine, und er hat wenig Überblick und auch keinen Plan dafür, was mit den Waffen passieren soll – oder nach dem Ende des Krieges geschehen soll, wie auch immer dieses Ende aussehen wird. Aber auch Russland fährt absurde Mengen an Material in die Ukraine, und was man so hört, haben die Ukrainer auch schon einiges davon für sich erobert (oder schlicht an sich genommen, als russischen Fahrzeugen das Benzin ausging). Heute aber nimmt man es als Kuriosität hin, wenn die ultrarechten Azov-Brigaden an Zelenskys Seite kämpfen, und laut aktuellen Internet-Videos ihre Kugeln mit Schweinefett einreiben, bevor sie diese auf Putins muslimische Kadyrow-Brigaden schießen (vice.com, 1.3.2022) – was wird aus der neuen Stärke dieser Leute nach dem Krieg werden?« 

»Oh«, sagte ich nur, die kleine Taubenstimme aber wurde extra ernst: »In der Ukraine könnten Terrorbanden entstehen, wie sie nach so manchem unbeendeten Krieg entstanden, und sie werden wieder mit westlichen Waffen ausgestattet sein, und sie werden sich wieder gegen den Westen wenden – und unabhängig davon, wie zahlreich diese Leute sein werden, vor allem die westliche Welt wird in den Kampf gegen die Idee ziehen, für die sie stehen. Es wird ein Kampf sein gegen neue und doch alte, angeblich international vernetzte, unsichtbare und globale Nazi-Terroristen. Es wird eine Gefahr geben, gewiss, doch sie wird viel größer gezeichnet werden, als sie tatsächlich sein wird.«

Ich atmete im Traum einmal tief durch, dann fragte ich: »Warum eigentlich ›unsichtbar‹?«

Die Taube schüttelte den Kopf über meine Begriffsstutzigkeit, dann erbarmte sie sich doch: »Diese angeblichen Terroristen werden weiß sein. Ein jeder Weißer wird in der nächsten Krise ein potentieller Terrorist sein, und er muss seine Unschuld aufwändig beweisen, ähnlich wie nach 9/11 so mancher Araber sich verdächtigt fühlte. Diese Logik wurde ja bereits in der Covid-Krise geübt, wo der Gesunde belegen musste, dass er nicht krank ist.«

»Wie soll das gehen?«, grübelte ich, »wird es ein digitales Nicht-Nazi-Zertifikat geben, das man auf dem Smartphone mit sich trägt?«

Die Taube erklärte: »In gewissen Staaten der Welt kontrolliert man schon längst die privaten Nachrichten, die du verschickst, ob da nicht vielleicht abweichende Gedanken dabei sind,«.

Ich erhob Einspruch: »Aber die sind doch immer öfter verschlüsselt.«

»Die Regierungen wissen das. In Russland, so hört man, hält die Polizei aktuell die Menschen auf der Straße an, und lässt sich die Privatnachrichten zeigen (businessinsider.com, 6.3.2022) – und wer sich sein Handy zu entsperren weigert, der wird abgeführt. Aber ja, in erfrischend offen totalitär klingender Sprache fordern Politiker ja auch im Westen, verschlüsselte Nachrichten zu verbieten, weil sie verbotene Gedanken enthalten könnten, welche in der Propagandasprache ›Hate Speech‹ heißen (vergleiche merkur.de, 14.12.2021 über ein diskutiertes Verbot des Dienstes »Telegram«: »Auch der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erklärte Anfang der Woche in den ARD-Tagesthemen, man müsse über alle Möglichkeiten nachdenken und meinte damit Einschränkungen für den Messenger in Deutschland, wenn nicht gar ein Verbot.«).

»Was heißt das aber, dass Putin die Ukraine ›entnazifizieren‹ will«, fragte ich, »ist es wirklich nur zynischer Sarkasmus, wie Journalisten im Westen sagen?«

Darauf die Taube: »Putin spricht über die Zukunft. Putin sagt dem Westen in nur dünn verschleiertem Code: ›Wir wissen doch alle, wie das hier enden wird. Hiernach bin ich wieder euer Partner. Und dann werden wir tun, was euch wirklich wichtig ist. Jeder auf seine Weise werden wir gegen Andersdenkende vorgehen, sprich: gegen die Nazis.‹ – In Russland gilt ja wie auch in Deutschland das Wörtlein ›Nazi‹ als Quasi-Code für Abweichler. – Putin sagt in diplomatischem Code: Bald werden wir Schulter an Schulter gegen Abweichler, Andersdenkende und Kritiker vorgehen. Wir werden es nicht eine neue globale Diktatur nennen, wir nennen es den internationalen Kampf gegen das heimliche globale Nazi-Terroristen-Netzwerk

Ich sagte, im Traum eben diesen zusammenfassend: »Ein globaler Kampf gegen einen weitgehend unsichtbaren Gegner, das globale Netzwerk der heimlichen Nazi-Terroristen, dessen einziges sicheres Erkennungszeichen abweichende Gedanken sind. Uff!«

Die Taube nickte, dann fragte sie mich, als wollte sie mich prüfen: »Und wie wird man diesen Kampf führen? Ich habe es ja schon gesagt.«

Ich wusste die Antwort, und im Traum schloss ich die Augen, und ich sagte: »Präventiv.«

Ich öffnete die Augen wieder, weil die Taube nicht antwortete, doch die Taube war nicht mehr da, sondern ich lag, wie es sich gehört, in meinem Bett, und der Hund lag zu meinen Füßen.

Ich dachte bei mir: »Was für ein verworrener, sinnloser Traum!«

Natürlich liegen die Rabbiner darin richtig, dass man Träume nicht allzu ernst nehmen sollte, wenn man zuvor schwer gegessen hat.

Ich sollte wirklich nicht vorm Schlafengehen ein großes Steak verputzen, denn die Träume, die es einem bereitet, sind arg unangenehm.

Ich stand auf und ging in die Küche. Der Hund folgte mir. Das Geschirr unseres Mahles war schon gespült.

Ich trank ein Glas Wasser. Es war noch Nacht, also machte ich das Licht an.

Der Hund bellte, und ich erschrak, doch ich sah, warum er bellte: Draußen auf dem Fensterbrett saß eine Taube, und sie blickte in die Küche hinein.

Etwas stimmte mit ihrem Flügel nicht.

Die Taube richtete erst ein Auge auf mich, dann wieder das andere, und sie sagte zu mir: »Nächstes Mal, wenn es fettes Essen gibt, iss doch einen Apfel!«

»Davor oder danach?«

»Stattdessen.«

Weiterschreiben, Dushan!

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