Es kann heutzutage passieren, dass man gefragt wird: „Hast du das mit der Attacke auf Polizisten gehört?“, und dass man dann antworten muss: „Ja, natürlich. Welche von den aktuellen meinst du aber?“
In Ulm wurden gestern vier Männer verhaftet.
Was hatten diese vier Männer zuvor getan?
Nun, sie hatten vor etwas mehr als einer Woche getan, was einige junge Männer im besten Deutschland eben tun – einen Polizisten schwerstverletzt.
In Erinnerung
Der Polizist war privat unterwegs gewesen. Er sah morgens um 1:40 Uhr vier junge Männer, die etwas taten, was ihm verdächtig vorkam. Weil er ein ordentlicher deutscher Polizist ist und außerdem Nacht war, zückte er nicht seine Waffe, sondern sein Handy. Und er rief seine Kollegen auf der Wache an.
Doch dann fanden die verdächtigen jungen Männer ihn verdächtig.
Und sie schlugen ihn nieder.
Wenn ich das aus der Nachrichtenlektüre richtig in Erinnerung habe, heißen die vier jungen Männer mit Vornamen Markus, Martin, Michael und Manfred. Außerdem stammen sie alle aus einem Kontext, wo man Nächstenliebe und Respekt gegenüber Mitmenschen von klein auf lehrt.
Oder womöglich habe ich da etwas falsch in Erinnerung. Ich tröste mich damit, dass „falsch“ und „richtig“ heute auch jeweils das Gegenteil bedeuten können. Wenn das faktisch Richtige eine moralisch falsche Aussage ergibt, hat eine moralisch richtige Variante als faktisch richtig behandelt zu werden.
Als Markus, Martin, Michael und Manfred also merkten, dass der Polizist sie gemeldet hatte, gaben sie ihr Missfallen zum Ausdruck.
Jetzt liegt der Polizist „mit schwersten Kopf- und Gesichtsverletzungen“ in der Klinik. Es besteht Lebensgefahr. Auf der hier zitierten Website bild.de, 18.2.2023 sieht man (aktuell) noch ein Foto mit dem Blut des Polizisten auf dem ordentlich deutsch verlegten Kopfsteinpflaster.
Gutenacht-Geschichten
Einer der Verdächtigen, und ich weiß gerade nicht, ob es Markus, Martin, Michael oder Manfred war, konnte leider nicht festgenommen werden. Er ist dreizehn Jahre alt, so wird berichtet, und gilt damit als minderjährig.
Er wurde zu seinen Eltern zurückgebracht. Also zu den Leuten, die ihn bis an diesen Punkt im Leben begleiteten, mit ihrem persönlichen Vorbild und ihren Gutenacht-Geschichten.
Wenn einer also fragt, von welcher Attacke auf Polizisten wir gerade reden, können wir in diesem Fall sagen: „Die mit dem 13-Jährigen.“
Wir spüren, dass der gesamte Staat in Schieflage geraten ist, wenn die Gewalt gegen Polizei derart alltäglich wird, dass man ohne nähere Angaben nicht einmal sicher ist, welche der aktuellen Meldungen gemeint ist.
Demo nur gegen Demo
Ja, ich weiß, dass das Ansehen der deutschen Polizei bei vielen sonst sehr „ordentlichen“ Bürgern zuletzt spürbar gelitten hat – und es tut gerade diesen Bürgern denkbar weh.
Manche von uns denken noch an die Bilder, wie Polizisten deutsche Bürger drangsalierten, wenn sie sich nicht in die Corona-Hysterien scheuchen ließen und unerlaubterweise spazieren gingen.
Manche von uns denken noch an Gewalt gegen Grundrechte-Demonstranten.
Wir erinnern uns leider an die vielen „Details“, wie beispielsweise als die Polizei Hessen offen warnte, alle Demos unter dem Motto „Für Frieden, Freiheit, Menschenrechte und für eine geschlossene Gesellschaft“ seien verboten, nicht aber die Gegendemos (@Polizei_NH, 24.7.2021/ archiviert; erwähnt im Essay „Versuch mal, das Gehirn neu zu starten“ vom 29.7.2021).
Ich habe einen Zyniker bitter scherzen gehört, dass deutsche Polizisten von „jungen Männern“ verprügelt werden und diese Demütigung dann an den älteren Damen und Herren bei Grundrechte-Demos auslassen. Mir ist nicht nach solchen Scherzen zumute, schon länger nicht mehr.
Wenn ein deutscher Polizist mit schwersten Verletzungen im Krankenhaus liegt, gefriert einem doch auch der letzte Scherz.
Ich weiß, dass das Leben dieses Menschen und seiner unmittelbaren Umgebung nie wieder dasselbe sein wird.
Ich ahne leider auch, dass die Täter inklusive ihres sozialen Umfeldes – welches sich ja dank Social Media sehr weit erstrecken kann – aus ihrer Tat und den unmittelbaren Folgen vor allem lernen werden: Dass sie damit durchkommen.
Der Schwerstverletzte könnte noch in Jahren und Jahrzehnten mit seinen Verletzungen ringen, und unser Mitleid und Mitgefühl mit ihm sind wichtig, richtig und moralisch tatsächlich alternativlos. Doch Mitleid und Mitgefühl allein sind nicht genug.
Wer spricht?
Beides, die Gewalt von Polizisten gegen Bürger, und die brutalere – und illegale – Gewalt „junger Männer“ gegen die deutsche Polizei, sind „nur“ das Symptom einer größeren Schieflage im deutschen Staat. Kein Polizist wachte in Zeiten der Corona-Hysterie auf, und sagte sich, dass er heute Spaziergänger bedrängen will. Die Polizei hatte einen Auftrag, und eventuelle Gewalt gegen Grundrechte-Demonstranten war ihre spontane Interpretation des Auftrags.
Polizisten werden geschlagen und bedroht. Polizisten werden kritisiert (zuweilen auch von mir) – oder sogar verklagt – wenn sie selbst zuschlagen.
Doch wer spricht für die Polizei?
Den wahren Kontext
Sicher, bei Gelegenheit werden Polizisten von der Politik als „Helden“ aufgebaut, wenn der Propagandastaat sie im Kampf gegen Andersdenkende und Opposition instrumentalisieren will (siehe Essay vom 10.9.2020). Doch im Dunstkreis einiger Parteien, welche die Polizei preisen, wenn es sich für Propaganda nutzen lässt, hört man auch Slogans wie „All Cops Are Bastards“.
Im oben zitierten Text wird ein Herr von der Gewerkschaft der Polizei zitiert, wie er über „Verrohung, Respektlosigkeit und Gewaltbereitschaft gegenüber der Polizei“ jammert (bild.de, 18.2.2023).
Wie glaubwürdig ist er?
Wie groß ist das Interesse jener Gewerkschaft, tatsächlich auch auf politischer Ebene den wahren Kontext der vielen jüngsten Angriffe zu benennen?
Nun, urteilen Sie selbst: Auf gdp.de, 16.8.2021 lesen wir, dass es unvereinbar sei, Mitglied dieser Gewerkschaft und zugleich Mitglied der AfD zu sein, denn die AfD gefährde das „gesellschaftliche Zusammenleben“.
Ich weiß nicht, wie viel Kontakt zur Realität vor Ort ein durchschnittlicher Funktionär der „Gewerkschaft der Polizei“ pflegt. Meines Wissens war es nicht das hervorstechende gemeinsame Merkmal der jüngsten Angriffe auf die Polizei, dass die Angreifer ein AfD-Parteibuch trugen.
Wer spricht für die Polizei, wenn die Politik sie vor allem für ihre Ziele instrumentalisiert, und wenn deren eigene Gewerkschaft auch zuerst zu sagen scheint, was höhere Stellen vermutlich von ihr hören wollen?
Ich wünsche
Mein Mitgefühl mit dem schwerstverletzten Polizisten ist denkbar groß. Was ging in ihm vor, als die jungen Männer wieder und wieder und wieder zuschlugen oder zutraten, solange er fühlte, was an ihm getan wurde?
Ich spüre in mir auch weiter Wut auf jeden einzelnen Gutmenschen. Ja auch das Blut dieses Polizisten klebt nicht nur wörtlich am Kopfsteinpflaster von Ulm, sondern auch metaphorisch an der Hand jedes einzelnen politisch korrekten Realitätsleugners.
Existiert noch ein realistischer Weg zurück in eine Zeit, in welcher die Polizei wirklich der Freund und Helfer aller Anständigen ist? Was müsste sich verändern, damit die Unanständigen die Polizei endlich wieder fürchten – und vor allem die?
Ich wünsche dem verletzten Polizisten und allen übrigen Opfern junger Männer eine rasche und vollständige Genesung an Leib und Seele.
Unserem Land aber wünsche ich zwei Wunder: Das erste Wunder soll sein, dass wir endlich zu Verstand kommen. Und das zweite Wunder soll bitte sein, dass wir noch etwas zum Besseren wenden können.