Dushan-Wegner

27.08.2023

Die Selbstverharmloser

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: »Besser aufpassen!«
These: Je mehr das Denken der »Guten« uns an Faschismus erinnert, umso brutaler gehen sie dagegen vor, wenn jemand darauf hinweist (Stichwort »Verharmlosung«) – womit ironischerweise ihr Handeln dem einer Diktatur ähnlicher wird.
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Bei der »Causa Aiwanger« versuchen journalistische Kampfeinheiten aktuell, einen missliebigen Politiker fertigzumachen, indem sie ihm vorwerfen, vor 30 Jahren als 17-Jähriger einen Zettel mit sehr unappetitlichen Inhalten in der Hand gehalten zu haben. (Der ursprüngliche Vorwurf bestand sogar darin, er habe ihn selbst verfasst.)

Im Kontext der Aufregung las ich den Kommentar einer Online-Bürgerin, den ich hier aus dem Gedächtnis paraphrasieren will: »Zu der Zeit, als der besagte Politiker angeblich jenes Pamphlet geschrieben haben soll, hieß ›Die Linke‹ noch ›SED‹ und ließ Menschen in Deutschland erschießen, weil sie frei sein wollten.«

Ein durchaus interessanter Kontext! (Oder, wie man relevanten, aber störenden Kontext unter Linken nennt: »Whataboutism«; siehe auch Essay »Wirf dem anderen vor …«.)

Es dauert nicht lange, bis ein Bärtiger, der auf seinem Foto jenes Tuch trägt, das im Westen für den Hass auf Israel steht, vermutet, dass die Bürgerin an psychischen Wahnvorstellungen leidet, und er schnippisch zurückfragt: »Ist diese SED grad mit uns im Raum?«

Die Bürgerin bleibt gelassen und antwortet: »Nee, hier nicht. Die sitzt im Bundestag.«

So geht es hin und her, der linke Tuchträger will das mit rhetorischen Tricks leugnen – man kennt es.

Ein weiterer Bürger mischt sich ein und diagnostiziert den Bärtigen: »Das sind diejenigen, die auch 1945 die NS-Zeit geleugnet hätten.«

Da wird der Linke hellhörig und fragt: »Findest du es eigentlich angemessen, die DDR auf eine Stufe mit dem NS-Staat zu stellen?«

Der Angesprochene antwortet, es sei vor allem »folgerichtig«.

Der Bärtige sieht seine Chance, an dieser Stelle auf bewährte linke Weise zu drohen: »Sicher? Denn jetzt bewegen wir uns in einem Bereich, in dem du den Holocaust relativierst. Willst du da nochmal drüber nachdenken?«

In größerem Maßstab

Der Linksbärtige wirkt recht feige, so gerissen er sich auch dünken mag. Er wendet lediglich einen »Trick« an, der in Deutschland täglich in weit größerem Maßstab gegen Kritiker eingesetzt wird.

In Deutschland hat man sich einen Winkelzug ausgedacht, um zu verbieten, dass jemand heutiges totalitäres Denken und Handeln als solches bezeichnet und dessen Gefahr beleuchtet, indem er es in einen geschichtlichen Kontext setzt.

Im Essay »Wir dürfen das über dich sagen, du aber nicht über uns« beschrieb ich diese schräge, typische Asymmetrie: Die »Guten« nennen ihre Gegner wörtlich »Nazis«, doch wenn man auf die Nazi-Parallelen der »Guten« hinweist, rufen sie »Verharmlosung« und verbieten so das Aufzeigen von Parallelen.

Wer als Bürger zu der Meinung gelangt, dass es Denk-Parallelen zwischen dem »legalen Unrecht« der Coronapanik-Zeit und dem Denken der Faschisten von 1933 bis 1945 gibt, und wer mutig oder naiv genug ist, diese Meinung frei zu äußern, der könnte bald Gegenstand eines Prozesses wegen »Volksverhetzung« werden. (So berichtete schon 2021 die umstrittene »SZ« unter dem markanten Titel »Impfgegner: Grenze überschritten«; sueddeutsche.de, 25.7.2023.)

Wehe du warnst!

Hinter der zunehmend potemkinsch wirkenden Fassade des Rechtsstaats scheint sich in Deutschland ein paralleles Bestrafungssystem zu etablieren, nämlich die Hausdurchsuchung, die keinem erkennbaren sinnvollen Zweck zu dienen scheint als der Bestrafung ohne Gerichtsverfahren.

Aktuell wird etwa von dem Fall des Prof. Dr. Rudolph Bauer berichtet (siehe etwa report24.news, 18.8.2023).

Professor Bauer ist Sozialwissenschaftler, und wer dieses Fachgebiet kennt, den überrascht nicht, dass seine Kollegen ihn einen »Antifaschisten der ersten Stunde« nennen.

Am 10. August 2023 musste der 84-Jährige aber eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Sein Vergehen bestand darin, während der Coronapanik davor zu warnen, dass im Kampf gegen das Virus eigentlich als faschistisch bekannte Denk- und Handlungsmuster in Deutschland (neu) etabliert werden. Er warnte vor »Disziplinierungs-Affinität« und »autoritärer Verfestigung«.

Jemand wurde wohl darüber sehr wütend und ließ sich eine Hausdurchsuchung genehmigen. Es erinnert an die deutsche Redensart, wonach getroffene Hunde bellen. Ironischerweise bestätigt man dadurch seine Vorwürfe.

Der Rechtsprofessor Martin Schwab kommentiert: »Noch nie seit Inkrafttreten des Grundgesetzes war die Demokratie in Deutschland so gefährdet wie heute.« (ebenda/Facebook)

In ihrer Pressemitteilung zitiert die Neue Gesellschaft für Psychologie dazu den Vorwurf: »Durch die faktische Gleichsetzung von demokratisch legitimierten Maßnahmen mit dem menschenverachtenden Vorgehen im Nationalsozialismus hat er in besonders verachtenswerter Weise die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen verharmlost.«

Natürlich klingt das hanebüchen. Doch selbst wenn der Professor diese »Tat« »begangen« haben sollte, indem er vor Parallelen warnte, eine verbotene Meinung öffentlich zu äußern: Welchen rechtsstaatlichen und praktischen Sinn außer Bestrafung soll es erfüllen, seine Wohnung auf den Kopf zu stellen? Er sagte es öffentlich, wonach sucht man also?

Die Behörden scheinen nicht einmal mehr so zu tun, als erfülle dieses Vorgehen irgendeinen rechtsstaatlich notwendigen Zweck außer der Bestrafung ohne Gerichtsverfahren.

Wehe, du zeigst Parallelen!

Während man in Deutschland gerichtlich bestätigt die Opposition, die das Einhalten von Recht, Gesetz und Amtseid fordert, dafür als »Faschisten« und »Nazis« beschimpfen darf, gilt es als Verbrechen, vor Parallelen zum Faschismus durch staatliche Maßnahmen zu warnen.

Dieses Vergehen, in Wort und Bild auf Parallelen im Denken und Handeln zwischen Deutschland und den Faschisten der Geschichte hinzuweisen, ist offenbar so supergefährlich, dass man auf Bestrafung und öffentliche Demütigung ohne Anklage und Gerichtsverfahren zugreifen muss.

Artikel 13, Absatz 1 des Grundgesetzes behauptet, die Wohnung sei unverletzlich, doch die folgenden Absätze nennen reichlich Ausnahmen, wann und warum sie das doch nicht ist. Wenn Deutschland und sein Grundgesetz kongruent sein sollen, könnte man erwägen, eine weitere Ausnahme für die Unverletzlichkeit der Wohnung zu verschriftlichen: wenn ein Bürger eine besonders verbotene Meinung vertritt und auf dem kurzen Dienstweg bestraft werden soll.

Die Durchsetzung von Macht und der einzigen erlaubten Meinung durch Bestrafung ohne faire Verfahren – an welche Staatsformen erinnert das bloß?

Nicht harmlos!

Der Eisberg wird nicht weniger gefährlich, wenn man verbietet, auf ihn hinzuweisen. Und wenn ich vor einem scharfen Messer warne, indem ich darauf hinweise, dass andere Messer großen Schaden anrichteten, habe ich jene Messer nicht »verharmlost«.

Die Gefährlichen von heute verharmlosen sich selbst, indem sie jeden verfolgen, der durch einen Vergleich auf ihre Gefährlichkeit hinweist; sinngemäß: »So gefährlich wie die bin ich nicht, also verharmlost du das wirklich Gefährliche.«

Die Moral aus der jüngsten Geschichte aber lautet wohl: Hüte dich vor denen, die dich Verharmloser nennen! Diese Leute sind nicht selten gefährlich – und alles andere als harmlos!

Weiterschreiben, Wegner!

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