Dushan-Wegner

04.04.2020

»Viren pfeifen auf Talking Points« und andere Lehren aus der Coronakrise

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Foto von Jonathan Borba
Wissenschaftler sagen, dass schon ATEMLUFT das Virus tragen kann. In China werden Städte ERNEUT abgeriegelt. Schweden gibt den »Sonderweg« auf. In Deutschland gelten Kontaktverbote, doch gelten sie für alle Bürger gleich?
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Was haben wir nun daraus gelernt? – Nicht alle, gottlob, aber einige von uns waren mal in einen Autounfall verwickelt, haben ihn auch überlebt (sonst lesen oder hören Sie diesen Text ja nicht). Schäden wurden bezahlt und Verletzungen kuriert, und dann stellen Sie sich, vielleicht, die Frage: Was habe ich nun daraus gelernt?

Einige von uns, wieder wohl nicht alle, haben mal mit dem unternehmerischen Teil ihrer Persönlichkeit einen Fehler gemacht, der weit folgenreicher als die geschäftsüblichen täglichen Fehlerchen war, etwa einem allzu glatten Partner vertraut, auf eine dann doch dumme Idee gewettet oder schlicht den Markt zu optimistisch eingeschätzt, und anschließend stellte sich die Frage: Was habe ich daraus gelernt?

Es ist das Wesen der Demokratie, dass auch ein Volk sich alle so-und-so-viel Jahre die Frage stellen kann, was es aus der letzten Wahl und deren Ergebnis gelernt hat, und dann betritt es das Wahllokal, sagt laut: »Nichts! Nichts habe ich gelernt! Dem TV habe ich geglaubt«, und dann macht es sein Kreuzchen, wie in den Redaktionen beschlossen wurde.

Aus Fehlern wird man klug, ja, doch geschickter ist es zweifelsohne, aus den Fehlern anderer Leute, Kulturen und Zeiten zu lernen (sollte dies nicht ein Teil von »Bildung« und »Reife« sein?), und wenn man es schon selbst ist, der die Fehler begeht, so könnte es doch klug sein, die Frage nah dem Gelernten zu stellen, noch während man die Fehler begeht!

Noch nach Stunden

Es ist eine dieser Überschriften, wo uns halbinteressierten Laien die Augen schon auf halber Länge des Satzes zu schielen beginnen: »Aerosol and Surface Stability of SARS-CoV-2 as Compared with SARS-CoV-1« (nejm.org, 17.3.2020)

Aus fast-schon-masochistischer Freude an der Überforderung zitiere ich eine Passage mitten aus dem Text, auf Englisch, und auf Deutsch wären es auch nicht weniger böhmische Dörfer (die ich wiederum verstehen würde, aber das ist ein anderes Thema):

SARS-CoV-2 remained viable in aerosols throughout the duration of our experiment (3 hours), with a reduction in infectious titer from 103.5 to 102.7 TCID50 per liter of air. This reduction was similar to that observed with SARS-CoV-1, from 104.3 to 103.5 TCID50 per milliliter (Figure 1A). (nejm.org, 17.3.2020)

Ich darf unseren Blick auf zwei Stichworte lenken: »aerosol« und »stability«.

Bislang dachte man, dass SARS-CoV-2 (wie das Wuhan-Virus aktuell genannt wird) sich nur etwa durch direktes Anhusten und anderen »nahen« Austausch von Körperflüssigkeiten wie Spucke überträgt.

US-Forscher am »National Institute of Allergy and Infectious Diseases« (plus kooperierender Universitäten) sagen nun, dass sie das Virus noch nach Stunden in der Atemluft selbst nachweisen können.

Beim Focus übersetzt man die Ergebnisse ins Deutsche für Normalmenschen: »Schon beim Ausatmen können Erreger in die Luft geraten – und Gesunde sie einatmen. Mund-Nasen-Schutze könnten das verhindern.« (focus.de, 3.4.2020)

Falls Sie das beunruhigt, dann wäre es besser, dass Sie nicht zusätzlich erfahren, dass in China bestimmte Regionen erneut unter Quarantäne gestellt werden, nachdem man dort das China-Virus zunächst für überwunden erklärt hatte (bloomberg.com, 2.4.2020).

Was auch immer wir aus der Coronakrise gelernt haben werden, wir sollten mit dem Lernen schon jetzt beginnen: Was also werden wir gelernt haben?

Gelerntes, erster Entwurf

Die erste Lektion aus der Coronakrise lautet: Viren pfeifen auf Talking Points.

Man kann Bürgern via Propaganda einreden, dass es ihnen gut geht, selbst wenn ihr Vermögen dahinschmilzt, ihre Plätze unsicher werden, ihre Schulen zu maroden Indoktrinations-Anstalten und ihre Brücken zu Sicherheitsrisiken verkommen – Viren hören darauf nicht. Ein Virus tut, was ein Virus tut, und wenn Politik und TV sagen, dass das Virus etwas anderes tut, dann tut das Virus dennoch, was es tut, denn das Virus zahlt keine Zwangsgebühr, guckt den Schmarrn nicht und glaubt ihn noch weniger.

Am Ende gewinnt immer die Realität, und wenn die Realität ein Virus ist, muss man eben eine stärkere, klügere Realität schaffen.

Betrifft: Vorbereitungen

Eine zweite Lektion lautet: Vorbereitungen sollte man vorher treffen.

Sicher, die Regierung erzählte, wie gut sie vorbereitet sei – doch man könnte und sollte auch dem einzelnen Bürger diese Frage stellen: Wie gut waren die einzelnen Bürger vorbereitet?

Vor einiger Zeit noch galten »Prepper«, also Leute die sich daheim für mehrmonatige Krisen rüsten als »Rechte« und »Verschwörungstheoretiker« – mit der Coronapanik wollten sich plötzlich alle »vorbereiten«, doch sie hatten sich keine Sekunde lang darüber Gedanken gemacht, was sinnvoll ist, und so verfielen sie kollektiv in ihre anale Phase zurück und kauften ausgerechnet Wagenladungen voller Toilettenpapier.

Als ich einst dazu aufrief (2018, »neue Strophe«: 2020), sich seinen »Innenhof« einzurichten, sprich: sich materiell und geistig darauf einzurichten, »unter sich« sein zu können, sich ganz aktiv und praktisch seiner wirklich »relevanten Strukturen« bewusst zu werden, wurde mir vereinzelt Defätismus und Passivität vorgeworfen – einige derer aber, die es damals taten, schicken mir heute Fotos davon, wie sie aktuell Spaß in ihrem »Innenhof« haben, was auch schlicht eine lebenswert eingerichtete Wohnung mit viel intellektuellem Input sein kann – aber natürlich auch ein Garten oder ein buchstäblicher Innenhof.

Vorbereitung ist erfolgreicher, wenn sie tatsächlich vorher geschieht – auch das ist eine Lektion dieser Krise.

Betrifft: Nationen

Eine dritte Lektion: Die Zukunft der Menschheit ist eine Welt benachbarter Nationen.

In der ganz großen, öffentlichen Debatte wie auch in ungezählten »kleinen« Diskussionen im Internet hört man immer wieder Fragen und Argumente der Form: »Nation X macht Y und die Folge ist Z – was können wir daraus lernen?«

Beschwichtiger und Coronaleugner deuteten lange Zeit auf Schweden, das es mit der Corona-Prävention nicht ganz so streng nahm (tagesschau.de, 21.3.2020: »Schwedische Gelassenheit«), obwohl Mediziner gewarnt hätten (»Mehrere Mediziner und Wissenschaftler fordern laut härtere Maßnahmen. Schweden würde nicht alle Register ziehen, um die Ausbreitung zu unterdrücken. Die Lage sei sehr ernst.«, ebenda), und jetzt rächt es sich. – »Schwedischer Sonderweg offenbar gescheitert« und »Zuwenig Intensivbetten vorhanden«, lesen wir bei deutschlandfunk.de, 4.4.2020. Gut, dass andere Länder erst einmal abwarteten, wie sich das in Schweden so entwickelt – und noch besser, wenn sie nicht sofort dem Beispiel folgten!

Aus Berlin hört man von Zusammenkünften bestimmter Kulturgruppen, wo die Kontaktsperren nicht so penibel eingehalten werden wie in anderen. Es wird von Beobachtern länger schon als ein »deutscher Sonderweg« empfunden, dass nicht alle Regelungen in allen Kulturkreisen gleich »eng« gesehen werden (focus.de, 4.4.2020: »300 Menschen versammeln sich trotz Kontaktverbot vor Moschee in Berlin-Neukölln«; n-tv.de, 3.4.2020: »Shisha-Bars verstoßen dutzendfach gegen Corona-Regeln«) – auch das könnte im Kontext von COVID-19 in Kombination mit anstehenden religiösen Festlichkeiten zu Ergebnissen führen, die aus dem Ausland mit vorsichtiger Spannung beobachtet werden (oder die man auch schulterzuckend abhakt, Zeiten ändern sich).

Was können wir aus der schlimmen Lage in Italien lernen? Sind die besonderen Wege in Schweden oder Japan tatsächlich Vorbilder oder kommen da die Probleme nur später? Wird die Lage in Deutschland auch langfristig entspannter bleiben als anderswo – und, wenn ja: warum?!!

»Die Zukunft Europas liegt im politischen Wettbewerb«, schrieb ich im Juni 2018. Im Februar 2019 redete ich der »freundschaftlichen Nachbarschaft demokratischer Nationen« das Wort. Als im Februar 2020 für alle außer den deutschen Staatsfunk samt deren Unterbehörde, Bundesregierung, die Dimension der China-Virus-Pandemie deutlich war, titelte ich: »Nationen — Quarantäne-Stationen für Politik-Ideen«.

Mit der Nation geht immer auch die jeweilige Denkschule einher, das theoretische Denken an den Universitäten und Kultureinrichtungen (sofern da noch gedacht wird und nicht nur dröges linkes Dogma eingetrichtert), und das praktische Denken in Gesetzen und dem ökonomischen Handeln der kleinen wie großen Akteure.

Es war absehbar, dass die EU in der Coronakrise vollständig versagen würde – was und wie soll eine Monsterbürokratie nützen, deren aktueller Zweck zuerst zu sein scheint, abgehalfterten Politikern ein politisches Gnadenbrot zu verschaffen (oder sie den Skandalen und Untersuchungsausschüssen in ihren Heimatländern entfliehen zu lassen)? Gerade in der Coronakrise wird deutlich: Das stärkste Argument gegen die EU ist die EU.

Im schlimmsten Fall tötet Zentralismus (siehe China, wo noch nicht alle Fakten auf dem Tisch zu liegen scheinen), immerhin ist der EU-Zentralismus »nur« weitgehend nutzlos, so dass Nationen (verschieden) schnell und auf eigene Faust die Verantwortung für das Wohl ihrer Bürger übernehmen konnten.

Der Wettbewerb freundlicher benachbarter Nationen ist die stabilste und vielversprechendste Art, wie die Menschheit insgesamt klüger werden kann – ich war vor der Krise dafür, ich werde es nach der Krise als eine der Schlüssel-Lektionen betrachten. (Überhaupt ist das einer der markantesten Unterschiede zwischen uns und Staatsfunkern: Wir müssen in der Krise »nur« tun, was wir ohnehin tun, nämlich bisherige Gedanken weiterführen und Details ausbauen, unser Fundament der relevanten Strukturen trägt – das Lügenfundament der »gefühlten Wahrheiten« linksgrüner Denkschulen ist implodiert, verschwunden, und Staatsfunker müssen heute das Gegenteil dessen sagen, was sie gestern noch forderten.)

Betrifft: Abstand

Eine vierte Lektion klingt auf den ersten Blick banal, wird aber in gewissen Regionen und Kontexten nur mit Schmerzen umzusetzen sein (so man Berlin als »Kultur« bezeichnen möchte), und diese vierte Lektion lautet: Höflichkeit rettet Leben – beginnend mit höflichem Abstand.

Wenn schon die Atemluft eines Infizierten die Umstehenden infizieren kann, wenn körperliche Nähe zu allzu vielen Menschen den Tod bedeuten kann, sollten wir neu darüber nachdenken, ob die alten Höflichkeitsgesten und Riten nicht nur schlicht »höflich« sind, sondern direkt lebensrettend.

Glaubt irgendwer wirklich, dies sei das letzte Virus für diese Generation und dann kämen wieder hundert Jahre Ruhe? (Randnotiz: Vergessen wir nicht: Viren sind eher »Informationseinheiten« als Lebewesen – was ist mit anderen potentiell tödlichen »Informationseinheiten«?)

Der Grundgedanke des Internets ist es ein Computer-Netzwerk zu bilden, das auch dann funktioniert, wenn ein Teil der einzelnen Rechner ausfallen sollten. Wir schützen uns vor Computer-Viren mit Hilfe eines »höflichen Abstands«, mit Firewalls, Passwörtern und Verschlüsselung. Wir sollten uns auch, ja, (vor) einander mit Hilfe eines »höflichen« Abstands schützen.

Ein oder zwei Antworten

Wer heute etwa 30 Jahre alt oder älter ist, der hat in seinem bewussten Leben, unter anderem, 2001 den folgenreichsten Terror-Anschlag der Menschheitsgeschichte erlebt, 2008 eine globale Bankenkrise, und 2020 nun eine globale Pandemie, die in eine weitere Wirtschafts- und Schuldenkrise übergehen könnte. Zynischerweise wird die beste Hoffnung manches Staates sein, dass China ihm das Geld pumpt, das es braucht, um die Folgen der »Chinesischen Grippe« zu bewältigen.

Meine Definition von Dummheit ist das mutwillige Nicht-Bedenken von Konsequenzen. Praktische Klugheit bestünde aber darin, schon jetzt damit zu beginnen, aus der aktuellen Lage und ihren absehbaren Konsequenzen zu lernen.

Wenn wir dereinst gefragt werden (und sei es hypothetisch, mit uns selbst als Fragenden und Befragten), was wir nun »daraus gelernt« haben, dann sollten wir ein oder zwei Antworten parat haben! Schon vor der Krise kriselte es, einige Unternehmen werden draufgehen, einige sich verraten fühlen.

Ich skizziere mir vorab diese vier Lektionen: Viren pfeifen auf Talking Points. Vorbereitungen sollte man vorher treffen. Die Zukunft der Menschheit ist eine Welt benachbarter Nationen. Und: Höflichkeit rettet Leben – beginnend mit höflichem Abstand.

Nicht vollständig vergebens

Über Menschen sagt man, niemand sei so nutzlos, dass er nicht zumindest als abschreckendes Beispiel dienen könnte. Lassen Sie uns diese merkwürdige Zeit mit ähnlichem Geist angehen! Wenn wir hieraus etwas lernen, dann waren der Stress und mögliche Verlust nicht vollständig vergebens.

Corona-Pandemie ist wie ein Autounfall, eine Massenkarambolage, in welche die Nationen hineinschlittern, eine nach der anderen. (Einige der Nationen gaben, bevor sie hineinkrachten, nochmal so richtig Gas – siehe Schweden. Die »Argumente« gegen Masken ähneln fast wörtlich den einstigen Argumenten gegen Sicherheitsgurte; siehe auch Essay vom 3.4.2020.)

Was haben wir nun daraus gelernt? Das erste, was wir aus der Krise lernen sollten, ist doch dass wir aus der Krise lernen sollten!

Wie auch die Welt hiernach aussieht, wir sollten alles dran setzen, das wir aus dieser Krise klüger heraus kommen als wir hinein gegangen sind.

Weiterschreiben, Wegner!

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