Dushan-Wegner

13.09.2022

Unverantwortlich, aber glücklich

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Foto von Ross Stone
Welche Motivation hat ein Arbeiter, früh morgens aufzustehen und malochen zu gehen, wenn auszuschlafen und eben nicht zu arbeiten vom Staat besser bezahlt wird?
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Fühlen Sie sich verantwortlich? Sagen Sie doch mal bitte, heute extra ehrlich, frank und frei: Fühlen Sie sich verantwortlich für all das, was an, in und mit Deutschland passiert?

Es ist denkbar, dass Sie sagen: »Ich doch nicht! Ich habe das doch nicht verursacht, dass es ist, wie es ist! Ich bin nicht dran Schuld, im Gegenteil: Ich habe davor gewarnt! Oh ja! Und eine Zeit lang habe ich sogar versucht, etwas dran zu ändern. Nein, ich bin nicht schuld, und deshalb bin ich nicht dafür verantwortlich

Wofür sind Sie aber dann verantwortlich?

Natürlich prädestiniert

Eine Preisfrage, ohne zu googeln oder den Telefonjoker zu aktivieren: Wie heißt der deutsche Arbeitsminister?

Manche von Ihnen fragen an dieser Stelle nach: »Deutschland hat einen Arbeitsminister?«

Einige von Ihnen wissen natürlich, dass der Arbeitsminister aktuell »Hubertus Heil« heißt, dass er derselben Partei angehört wie Kevin »BMW enteignen« Kühnert und Olaf »Erinnerungslücke« Scholz.

Exakt so, wie man es heute erwartet, lässt Heils aktueller Wikipedia-Eintrag (Stand 13.9.2022) darauf schließen, dass Herr Heil keinen Tag seines Lebens außerhalb der Politik arbeitete (MdB seit 1998, also seit er 26 Jahre alt war, so auch zeit.de, 18.2.2020).

»Kaum eine politische Karriere startete so früh wie seine«, schreibt merkur.de, 25.8.2022, was ihn in der absurden Gegenteilwelt deutscher Demokratie dazu prädestiniert, ausgerechnet den Arbeitsminister zu geben.

Hubertus »Kreißsaal-Hörsaal-Plenarsaal« Heil kündigte nun eine Hartz-IV-Reform an, und mit »Reform« meinen wir: Mehr Geld für Leute, die sich nicht in der Lage sehen, den deutschen Fachkräftemangel auszugleichen.

Differenz < Miete

bild.de, 12.9.2022 rechnet das vor: Eine Familie mit zwei Kindern im präpubertären Alter soll laut der SPD demnächst 1598 Euro im Monat als »Bürgergeld« erhalten. Wohlgemerkt zusätzlich zu Miete und Heizkosten, die vom Staat übernommen werden.

Ein Alleinverdiener mit zwei Kindern aber, der für 2.500 Euro brutto arbeiten geht, bekommt netto 1.967,12 Euro (so berechnet bild.de, 12.9.2022), muss dafür aber Miete und Nebenkosten bezahlen, was regelmäßig weit mehr als die 400 Euro Differenz zu 1.598 Euro ausmacht.

Ich weiß, dass einige von Ihnen, liebe Leser, schmerzhaft weniger als diese Summe etwa an Rente vom ach-so-fürsorglichen Staat erhalten – und womöglich auch das noch versteuern sollen.

Und ich ahne, dass einige von Ihnen ein komfortables Vielfaches kassieren (evtl. relevant: freiwilliger Leserbeitrag).

Fakt bleibt, dass 2.500 Euro brutto ein Lohn ist, über den man bislang sagte: »Es ist nicht viel, aber es ist ehrliche Arbeit.«

»Chancenkarte«

Dass Herr Heil es für Niedriglöhner unattraktiv machen wird, morgens aus dem Bett zu steigen, ist übrigens nicht die einzige aktuelle Meldung zur Arbeitspolitik im besten Deutschland aller Zeiten.

Dieser Tage erfahren wir (wieder einmal), dass die Regierung sich »mehr Einwanderung« wünscht, konkret die Einwanderung von »Fachkräften« (tagesschau.de, 7.9.2022).

Auf der Kulisse steht in Großbuchstaben »FACHKRÄFTESTRATEGIE«, und zwar mit einem »Hashtag«, also einem »#« davor. Politiker und/oder ihre PR-Leute meinen, dass ein Wort »modern klingt«, wenn man nur die aus den Sozialen Medien bekannte Raute davor stellt.

Ich bin so alt, ich weiß noch, als man nicht einen Hashtag vor Wörter setzte, um modern zu wirken, sondern dafür Phrasen der Jugendsprache übernahm. In früheren Zeiten hätten dieselben Großintellektuellen vermutlich auf ihre Kulisse geschrieben: »Fachkräftestrategie – boah, geil ey!«

Wenn Nancy Faeser nicht gerade Artikel für Antifa-Gazetten schreibt (n-tv.de, 5.2.2022) oder als Innenministerin zur großen Aktion gegen alles Nichtlinke bläst (siehe auch Essay vom 3.9.2022), konzipiert sie gewiss sehr realistische »Eckpunkte für eine Modernisierung des Einwanderungsrechts« mit einem »Punktesystem« aus. Heils Sprachprofis haben ihm offenbar das lustige Wort »Chancenkarte« erfunden. (Ich vermute, frei und ausgedacht, dass die Agentur des Schwippschwagers eines Abteilungsleisters dem Ministerium für die Entwicklung des tollen Worts »Chancenkarte« eine Rechnung in Höhe einer Staatsfunk-Büroausstattung inklusive Massagesessel ausstellte.)

So oder so

Auf der einen Seite habe ich – wie die meisten von Ihnen – weit mehr Erfahrung in der realen Arbeitswelt als so mancher Funktionär der Arbeiterpartei (wobei »mehr als null« nicht allzu schwer zu erzielen ist).

Auf der anderen Seite bin ich nicht so klug wie Herr Heil – der hat immerhin Politikwissenschaft studiert.

So oder so müsste man mir erst noch erklären, warum man nicht, statt Fachkräfte aus dem Ausland ins Land locken zu wollen, nicht etwas dagegen unternimmt, dass seit Jahren deutsche Fachkräfte ins Ausland abwandern (siehe focus.de, 15.1.2020, wiwo.de, 24.8.2021 und viele andere). Ich kenne übrigens persönlich Fachkräfte aus dem medizinischen Bereich, die samt Familie aus Deutschland auswanderten, um der mRNA-Injektion zu entgehen.

Es ist alles sehr rätselhaft – sehr, sehr rätselhaft. Ich darf sagen: »Ich bin da nicht verantwortlich! Ich habe das weder gewählt noch gewollt!«

Wir schütteln den Kopf, zucken mit den Schultern, und versuchen, irgendwie das alles durchzustehen.

2016 schrieb ich den Essay »Merkel – ihr Erbe wird ein Land ohne Verantwortungsgefühl sein«.

In der Einleitung jenes Textes stand:

»Wir« sollen schaffen, aber wir wissen nicht, wer wir sind. Die merkelsche Pflichtrepublik wird scheitern. Sie scheitert bereits.

Damals vermutete ich, dass Merkel schon 2017 nicht mehr antreten würde. Ich lag falsch, und es spielt keine Rolle, denn Scholz ist Merkel mit Erinnerungslücken. Es wirkt bald, als ob beide nur austauschbare Darsteller in einem Theaterstück wären.

»Ein Land muss mehr als ein Pflichtenkatalog sein«, so schrieb ich damals allerdings auch, und: »Wir sollen schaffen, aber wir wissen nicht, wer wir sind.«

Was der Hund so anstellt

»Ich fühle mich dafür nicht verantwortlich«, so sagt heute mancher, während er mit den Schultern zuckt, »ich habe es nicht verursacht! Und ich kann nichts daran ändern.«

Jedoch, Verantwortung setzt gar nicht direkte Kausalität voraus. Eltern sind verantwortlich für ihre Kinder, Hausbesitzer für den Zustand ihres Hauses und Hundehalter für das, was der Hund so anstellt.

Verantwortung setzt voraus, dass du dich verantwortlich erklärt hast, oder dass du von Gesellschaft und Tradition für verantwortlich erklärt wurdest. Gefühlte Verantwortung setzt das tiefe Gefühl voraus, Teil eines bewahrenswerten Größeren zu sein.

Wenn Menschen sich nicht für ihr Land verantwortlich fühlen, dann lässt mir das kalte Schauer über den Rücken laufen.

»Deutschland, du Stück Scheiße« und »Nie wieder Deutschland«, so ruft man schon mal im Dunstkreis der Partei, welche die beiden Qualitätsminister Habeck und Baerbock stellt. Grüne Hass-Slogans gegen das Land, dessen Arbeiter man so verachtet, aber doch so gern besteuert für den Profit grüner Bonzen, diese Hass-Slogans sind eben das, »Hass«, also ein Gefühl.

Sich »nicht verantwortlich zu fühlen« ist aber, obwohl es das Wort »fühlen« enthält, eben kein Gefühl. Sich nicht verantwortlich zu fühlen ist die Abwesenheit von Gefühl.

Wenn Sie oder ich uns nicht verantwortlich fühlen sollten, dann wäre dies noch kälter als der offene Hass mancher Linksgrünen auf Deutschland.

Doch wäre es ganz unverständlich? Wäre es denn nicht menschlich?

Die Kraft des Menschen ist nicht unendlich, auch nicht die Kraft, emotional oder praktisch Verantwortung zu übernehmen.

Hahahaha, nein.

Die ersten Deutschen werden bald das Gefühl haben, wie buchstäbliche »Deppen der Nation« dazustehen, wenn sie Verantwortung für sich selbst übernehmen.

Sicher, manche von uns sind wahnsinnig genug, einen Beruf zu wählen, den sie auch für umsonst tun würden, oder sogar wenn sie draufzahlen müssten und könnten – ich denke hier etwa an Musiker, Maler oder freischaffende Essayisten. Wir können nicht anders, als uns täglich ans weiße Blatt zu setzen, eine Ader zu öffnen und vorm Publikum zu bluten (Quelle dieser Formulierung umstritten, siehe quoteinvestigator.com, 14.9.2011).

Jedoch, seien wir realistisch: Ich habe selbst jahrelang in Fabriken und auf Baustellen gearbeitet, habe Zement geschleppt und mit dem Presslufthammer ganze Häuser abzureißen geholfen. Meinen ersten Job als Schreiber erhielt ich von einem Verlag, der direkt neben der Nahrungsmittel-Fabrik saß, in welcher ich gerade als Student im Sommerjob aushalf.

Hätte ich auch nur eine einzige Minute in diesen Fabriken gearbeitet, wenn ich mehr Geld bekommen hätte, indem ich einfach liegen bliebe? – Hahahaha, nein.

Unverhandelbar glücklich

Ich habe spontan auch keine Lösung. Wer wäre ich, den Hartz-IV-Empfängern zu sagen, dass sie weniger Geld bekommen sollen?

Die Schiefstände, die uns heute plagen, haben ihre Ursachen in Entwicklungen, die lange, lange zuvor einsetzten. Und bei einigen aktuellen Entwicklungen sehe ich nicht einmal, wie sie sich überhaupt demokratisch lösen ließen.

Ein Beispiel: Noch immer unterschätzen wir dramatisch, welchen immensen Schaden elektronische Geräte und sogenannte digitale Medien (nicht nur) bei suchtanfälligen Heranwachsenden anrichten. Wesentliche Teile ganzer Generation werden mit irreversiblen Hirnveränderungen aufwachsen. Viele »Woke« tun nicht nur blöd und ideologisch, ihre Gehirne sind wirklich so verschaltet! Ich sehe nicht, wie sich dies demokratisch lösen ließe – China hat andere Möglichkeiten, gegen dieses »digitale Opium« vorzugehen, und das ist gruselig.

Ach, ich bin nicht verantwortlich. Ich bin nicht verantwortlich für die Kinder anderer Leute – und selbst bei meinen eigenen kann ich nur so-und-so-viel tun.

Ich bin nicht verantwortlich für das, was die Demokratie kann und nicht kann.

Ich bin nicht verantwortlich für die Motivation deutscher Arbeiter. Ich kann jedoch verstehen, dass einer lieber morgens ausschläft, in Ruhe frühstückt, dann vielleicht in die Bibliothek geht oder einen Film guckt, wenn er durchs Nichtstun mehr bekommt als durch harte Maloche.

Ich bin nicht verantwortlich für ein Politiktheater, an dem meine Stimme im Wahllokal nichts verändert, weil sie vielleicht die Schauspieler austauscht, aber nicht das Theaterstück.

Ob und wie

Wenn ich überhaupt etwas ändern und ordnen kann, dann vielleicht noch Gedanken. (Und so mancher »Propaganda-Zombie« / »NPC« scheint nicht mal das eigene Denken steuern zu können – oder zu wollen.)

Wenn ich am ehesten nur noch meine Gedanken steuern kann, dann bin ich eigentlich zuerst für mein Innenleben verantwortlich.

Du kannst nicht jeden Tag wählen, ob und wie die Welt durchdreht, doch du kannst wählen, ob und wie du darauf reagierst.

Du bist verantwortlich für die lieben Menschen um dich herum, soweit diese es zulassen und du diese Verantwortung auf dich nimmst.

Zuerst bist du aber für die Ordnung deiner Gedanken verantwortlich, für die Ordnung dieser »inneren Kreise«, und damit für dein Glück.

Wenn man es recht bedenkt, sind dein Glück und deine innere Ordnung das Einzige, für das du voll verantwortlich bist – und nur du.

Alle Verantwortungen sind verhandelbar, nur die Verantwortung für deine innere Ordnung und dein Glück, die ist unverhandelbar.

Du bist nicht für die-da-oben verantwortlich. Du bist für dich und dein Glück verantwortlich – und wenn da alles geregelt ist, kannst du ja noch immer schauen, ob und wo du zusätzliche Verantwortung auf dich nimmst.

Weiterschreiben, Wegner!

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