Dushan-Wegner

07.12.2020

Erstmal prüfen, ob die Milch nicht verdorben ist

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Rebecca Orlov | Orlov Design Co
Für Milch wie für Politik gilt: Wenn es komisch riecht, dann ist es wahrscheinlich verdorben – oder einfach allgemein Käse.
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Wir kennen es aus amerikanischen TV-Comedyserien: Der Protagonist öffnet den Kühlschrank, greift nach dem Milchkarton, riecht daran – und verzieht in Schock und Ekel das Gesicht! Die Milch ist ja verdorben!

Der Protagonist schließt den Milchkarton aber nicht um ihn sofort zu entsorgen, oh nein! Was tut er? Richtig! Er schüttet die stinkende, verdorbene Milch sicht- und hörbar in die Spüle, und es fallen zu joghurtartiger Masse gelierte Klümpchen heraus.

In einem Fall von »life imitating art« habe ich mich selbst schon dabei erwischt, an Milchkartons zu riechen, die ich dem Kühlschrank entnommen habe, obwohl es keinen guten Grund gibt, warum die gestern geöffnete Milch heute schon schlecht sein sollte. Ich tue es, weil die Figuren in den Filmen es so tun – und ich denke mir: Es kann ja nicht schaden, lieber vorsichtig zu sein, und nochmal zu prüfen, was ich mir in der Dunkelheit des frühen Morgens in den Kaffee schütte!

»Prüfe alles…« (wovon es übrigens aktuell ein neues Design gibt!), ließe sich ja auch poetisch formulieren: »Rieche erstmal an der Milch, ob sie nicht verdorben ist!«

Ich wende ja auch für Dinge der Politik wie auch der Gesellschaft einen bestimmten »Riech-Test« an, und er hat mit »Relevanten Strukturen« zu tun.

Es hat sich sehr gut bewährt, beim »Riechen an Situationen« die relevanten Strukturen der beteiligten Akteure zu bedenken – und zu prüfen, ob und inwiefern die behauptete Wahrheit unter Berücksichtigung der relevanten Strukturen Sinn ergibt. Erlauben Sie mir bitte, den »Relevante-Strukturen-Riech-Test« an zwei maximal aktuellen Beispielen anzuwenden!

Die Islamische Republik Iran meldet aktuell mehr als fünfzigtausend COVID-19-Tote (aljazeera.com, 5.12.2020, meine Übersetzung: »Iran, das am härtesten betroffene Land im Nahen Osten, kämpft gegen die dritte Welle der Epidemie«). Ayatollah Ali Khamenei (hier bei aljazeera.com mit Maske abgebildet), ruft nach strengeren Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Gesundheit.

Derweil: In Israel trifft sich aktuell das Kabinett, um das Vorgehen gegen die steigenden Corona-Zahlen zu debattieren (jpost.com, 7.12.2020). In den Straßen Jerusalems sieht man Menschen in denselben Masken, wie in den Straßen jener Länder, die Israel die Todfeindschaft geschworen haben und das Heimatland der Juden lieber heute als morgen von der Landkarte und aus der Geschichte löschen würden.

Ich will den »Geruchstest« auf jene Krankheit anwenden, welche ihre Opfer oft den Geruchssinn verlieren lässt: Ich weiß, dass manche glauben, COVID-19 sei kaum eine Grippe und die internationale Panik zuerst eine Verschwörung gewisser Mächte. Die These wäre dann also, dass Staaten wie Iran, Pakistan, Israel, Indien et cetera, die sich ansonsten spinnefeind sind und teilweise alles tun würden, um dem jeweiligen Feind eins auszuwischen, sich auf einmal wie ein Leib und eine Seele der Verschwörung von Pharmaindustrie und Bill Gates beugen, in plötzlicher Einigkeit ihre Wirtschaft ruinieren und bald ihre Bürger den kapitalistischen/zionistischen/irgendwas-ischen Impfungen aussetzen? Die These, dass all diese Staaten (allesamt mit herausragenden eigenen Wissenschaftlern, die alles prüfen können!) ihre bisherigen relevanten Strukturen hintanstellen, um der Pharmaindustrie (oder Bill Gates, oder dem Virusgewinner China…) einen Gefallen zu tun… – sorry, diese These besteht nicht den Relevante-Strukturen-Geruchstest. (Randnotiz: Daraus, dass ich die grundsätzliche Gefahr weiterhin für real halte, folgt nicht, dass gewissenlose westliche Postdemokraten sie nicht »nutzen« könnten, um Maßnahmen durchzusetzen, die Ausdrücke wie »Corona-Diktatur« zunehmend weniger verrückt klingen lassen. Spätestens wenn sie mit Hunden auf Bürger losgehen, wenn diese Bürger für Grundrechte demonstrieren, scheint es nicht mehr wirklich um ein Virus zu gehen – auch jene Milch riecht arg streng.)

Ja, manchmal scheint der Geruchstest die offizielle These tendenziell zu bestätigen – und manchmal weckt er ganz erhebliche Zweifel. Aus den USA wird berichtet, dass Donald J. Trump weiterhin Stadien füllen kann, wie auch schon vor der Wahl (siehe dazu auch etwa meinen Essay vom 6.11.2020; aktuelle Bilder via YouTube) – während der verwirrte Lügner Biden, der vor der Wahl meist versteckt wurde und keinen Vorgarten mit Wählern füllen konnte, der aktuell im Konzern-TV konfuse Interviews gibt (vergleiche Essay vom 4.12.2020), oder einsam und erschöpft über den Friedhof zur Kirche schlurft (@thehill, 5.12.2020), diese arme Marionette soll mehr Menschen davon überzeugt haben, ihre relevanten Strukturen zu stützen als Donald J. Trump?! Nein, das besteht nicht den Relevante-Strukturen-Geruchs-Test – es scheinen die Relevanten Strukturen ganz anderer Leute als der Wähler zu sein, die man mit jenem unwürdigen Schauspiel stärken will (eine bekannte Kategorie des Relevante-Strukturen-Geruchs-Tests ist die bekannte Frage »Cui bono?«, »Wem nutzt es?« – für mögliche Hinweise siehe auch den Essay »No one here gets out alive…« vom 6.12.2020).

Ich »rieche« an den Ereignissen des Tages, ich »rieche« auch an den kursierenden Kommentaren und Interpretationen. Manches riecht tatsächlich nach verdorbener Milch – und manches wohl nicht.

Die Metapher geht noch einen Schritt weiter: Wenn ich tatsächlich verdorbene Milch entdecken sollte, würde und werde ich natürlich versuchen, den Rest der Familie davon abzuhalten, diese Milch zu trinken – nicht dass sie sich noch den Magen ganz durcheinander bringen! Auf gewisse Weise sind meine Texte auch eine Art von Warnung an meine Mitmenschen, wenn ich meine, gerochen zu haben, dass dieser oder jener Milchkarton verdorben ist.

Doch, wie jede Metapher findet auch die von der verdorbenen Milch ihre Grenzen: Tatsächlich verdorbene Milch würde ich nie trinken. In der großen, tatsächlichen Welt bleibt oft nichts anderes übrig, als die Milch so zu trinken, wie sie ist.

Prüfe alles, glaube wenig – und wenn es riecht, als ob die Milch verdorben wäre, dann lass sie lieber stehen. Wenn du die Milch aber doch trinken musst, aus diesen oder jenen Gründen, dann könnte es ja helfen, die klumpige Milch zur Delikatesse zu erklären – und dir zur Sicherheit etwas Beruhigendes für den Magen bereit zu stellen.

Weiterschreiben, Wegner!

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