30.01.2023

Ein zerrüttetes Verhältnis

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, two men
Die Attacken auf Hans-Georg Maaßen bebildern geradezu gruselig präzise jenes Tucholsky-Zitat, dass in Deutschland derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für weit gefährlicher gilt als der, der ihn macht – und also angegriffen wird.
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In jedem Verhältnis zwischen Menschen kann es über Jahre und Jahrzehnte passieren, dass die Beteiligten vergessen, was der ursprüngliche Zweck und die erste Motivation ihrer Beziehung waren.

Wir denken hier etwa an einen Arbeitnehmer, der mehr so aus Gewohnheit zur Arbeit kommt, und ein Chef, der nicht wirklich sagen könnte, warum dieser Angestellte da ist, außer dass er eben schon immer da war.

Oder wir könnten an eine erkaltete Ehe denken, wo das Paar mehr so nebeneinander lebt, und selbst auf Nachfrage nicht zu Protokoll geben könnte, was man einander noch zu sagen hat.

Und wir könnten an das Verhältnis des einzelnen Bürgers zu seinem Staat denken. Auch der Bürger und die Organe des Staates könnten beide aus den Augen verlieren, von welcher Art ihre Beziehungen sein sollten – womit wir bei den Meldungen des Tages wären.

Nur „Wahrnehmung“

Es gibt Dinge, über die lächelt man und winkt ab, wenn der TV-guckende Nachbar sie sagt. Wenn aber der Chef des deutschen Verfassungsschutzes sie sagt, ist das Gesagte zwar keinen Deut schlauer, aber gerade dadurch eben etwas gruselig.

Vor einem Jahr, im Essay „In Ruhe mein Toast essen“, schrieb ich: „Der Verfassungsschutz betätigt sich unter Haldenwang als eine Art ‚Amateur-Philosophiestadel‘. Spätestens 2021 schien der Verfassungsschutz nach mancher Ansicht recht offen in der politischen Debatte mitzuspielen.“

Ein neues Interview mit Herrn Haldenwang (deutschlandfunk.de, 29.1.2023) liefert einiges, was es braucht, um diese Einschätzung weiter aufrechtzuerhalten.

Das CDU-Mitglied Haldenwang raunt etwa böse Dinge über seinen Vorgänger und Parteikollegen Hans-Georg Maaßen. Dieser trete durch „sehr radikale Äußerungen in Erscheinung“, so nimmt Herr Haldenwang wahr. (Man beachte die spezielle Formulierung, mit welcher er sagen kann, die aggressive Bewertung, in einem Interview als Chef des Verfassungsschutzes, sei doch nur seine Wahrnehmung.)

Haldenwang schließt sich „Bewertungen“ an, dass man in Maaßens Äußerungen „eindeutig antisemitische Inhalte“ sehen könne. Auch hier nehme ich eine fiese, aber feige Formulierung wahr. Und ich finde in seinen Aussagen keine konkreten Beispiele für das, was er Herrn Maaßen vorwirft – er schließt sich „Bewertungen“ an.

Was meint er?

So lächerlich

Das Magazin, das für seine stets wahrheitsgemäße, nie flunkernde und jederzeit politisch neutrale Berichterstattung bekannt ist, schrieb am 10.5.2021 über solche Vorwürfe gegen Maaßen.

Dort steht etwa, Maaßen spräche auch vom „Great Reset“, und das sei eine „Verschwörungsideologie“. Und außerdem spräche er von „Eliten“, und von „Globalisten“, und das sei wohl „antisemitischer Code“. Und so weiter, und so fort.

Die Beschuldigungen gegenüber Maaßen bedienen sich oft eines rhetorischen Tricks, den ich im Buch Talking Points beschreibe, und den wir sonst von heutigen Linken, aber auch von den tatsächlichen Antisemiten der NS-Zeit kennen: Man unterschiebt dem Gegner eine böse Absicht und macht damit selbst harmlose politische Äußerungen zu mindestens moralischen Verbrechen.

Es ist an diesem Punkt ja geradezu müßig, die „Argumente“ von Spiegel oder Haldenwang gegen Maaßen zu diskutieren. Von den „Eliten“ doch reden die Eliten selbst, auch vom „Great Reset“. Herr Schwab vom WEF sagt ja wörtlich, er wolle „die Welt von morgen entwerfen“, und er verspricht eine „systemische Transformation der Welt“ (siehe auch Essay vom 27.11.2022). Doch wehe, man zitiert ihn!

Während ich dies schreibe, titelt deutschlandfunk.de selbst in Großbuchstaben: „Der Papst ist Elite!“ – Oha, ist das auch ein „antisemitischer Code“? Ach, es ist so lächerlich.

Der, der darauf hinweist

Es gilt, mehr denn je, dass in Deutschland derjenige für wirklich gefährlich gehalten wird, der auf den Schmutz hinweist – und nicht der, der den Schmutz macht.

Die neueste Kampagne gegen Maaßen entbrannte, als er auf den anti-weißen Rassismus linker Ideologie hinwies. Er schrieb, so erfährt man in den Zitaten seiner Gegner, dass nach „rot-grüner Ideologie“ die „Weiße als minderwertige Rasse angesehen werden und man deshalb arabische und afrikanische Männer ins Land holen müsse“. (zitiert nach faz.net, 25.1.2023)

Das derart beschriebene politische Lager fühlte sich offenbar ertappt, und nach der von verschiedenen Sozialisten praktizierten Masche warfen sie Maaßen vor, wessen er sie beschuldigt hatte. In linker Logik ist derjenige ein Rassist, der linken Rassismus anprangert. Man muss es nicht logisch verstehen.

Im eigenen Kopf

Auch der neueste Generalsekretär der CDU, ein Herr Mario Czaja, versucht sich in einer Variante dieser so diffusen wie fiesen Unterstellung gegenüber Maaßen.

Maaßen verwende „Sprache aus dem Milieu der Antisemiten und Verschwörungsideologen“ (@MarioCzaja, 24.1.2023), und so weiter, und so fort.

Vergessen wir nicht die alte deutsche Volksweisheit: Wenn du mit dem Zeigefinger auf jemanden zeigst, zeigen die übrigen Finger auf dich zurück.

Wenn Herr Maaßens Gegner ihn angreifen, indem sie ihm irgendwelche „antisemitischen Codes“ unterstellen, haben sie dadurch nicht vielmehr entlarvt, was in ihrem eigenen Kopf vorgeht? Was sagt es über Maaßens Gegner aus, dass sie offenbar das Wort  „Globalisten“ hören und automatisch an „reiche Juden“ denken?

Ach, wir wissen doch, was Maaßens „Ursünde“ war: Er hatte es gewagt, Merkels Chemnitz-Lüge zu widersprechen. Das haben ihm die „Wahrheitssysteme“ nie verziehen (siehe dazu Essay vom 17.9.2018).

Nicht gerade beliebter

Würde ich über Maaßens Beschuldiger nach der gleichen Logik reden, in der sie über ihn reden, würde ich womöglich sagen, dass Herr Haldenwang oder Herr Czaja sich der Sprache der Undemokraten bedienen, dass ihnen also das Wohl der Demokratie gleichgültig ist und dass der Verfassungsschutz sich vielleicht ihrer annehmen sollte.

Es ist überhaupt eine etwas rätselhafte Funktion, die Herr Haldenwang da einnimmt. Das Amt darf sich eigene außerjuristische Vergehen ausdenken, wie die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, ein gleich doppelt vager Begriff, der es möglich macht, jeden politischen Gegner, der jemals die Regierung kritisierte, zu beobachten.

Und wenn die Behörde auch die Zielperson nicht offiziell „beobachtet“, so darf man doch – siehe oben – in Interviews anklagen und moralisch verurteilen, stets mit dem rhetorischen Zauberstab des Amtes, ohne dass sich der Angeklagte und Abgeurteilte auf gleicher Plattform wehren könnte. Ein Zyniker könnte fragen wollen: „Wer schützt die Verfassung vorm Verfassungsschutz?“

(Man vergesse nicht, dass das Parlament es letztes Jahr durchwinkte, dass der Verfassungsschutz de facto jeden Bürger „beobachten“ kann, wenn er jemals eine Tagesschau-Nachricht etwa über einen Krieg hinterfragte; siehe Essay vom 27.10.2022. Maaßen wies darauf lautstark hin, und auch dieser sein Versuch, Demokratie und Rechtsstaat zu schützen, wird ihn nicht gerade „beliebter“ gemacht haben.)

Die böse Angst

Während Herr Haldenwang sich also an Herrn Maaßen abarbeitet, und während man die Oppositionspartei AfD beobachtet („unter Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln“), ist ihm offenbar wichtig, festzuhalten, dass er bei den Klimaspinnern „noch nicht hinreichende Anhaltspunkte für eine Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ sieht (weiter deutschlandfunk.de, 29.1.2023).

Aber eigentlich redet er wohl lieber über die böse AfD. Und über Herrn Maaßen. Und über Russland – ganz viel über Russland, die ganz „Propaganda“, „Desinformation“ und „Fake News“ verbreiten.

Worüber Herr Haldenwang leider nicht redet, sind etwa die aktuellen US-Berichte über „Hamilton 68“ (siehe nypost.com, 28.1.2023), also jenen in den Twitter Files ans Tageslicht gekommenen Think-Tank, der Tausende von Russland-Stories lancierte, mit welchen etwa konservative Kritiker als Russland-Bots diffamiert wurden.

Und Herr Haldenwang spricht natürlich auch über Migration. Der Verfassungsschutz sehe schon, „dass man sich wieder auf das Thema Migration stürzt“. Gemeint sind wohl etwa die Proteste, wenn Politik sich aggressiv gegen Wohl und Wille der Bevölkerung richtet, und Wohnraum für Migranten errichtet, obwohl das Volk es nicht will – und womöglich schlicht aus Erfahrung blanke Angst hat (n-tv.de, 29.1.2023).

Es klingt wie Verachtung des Bürgers, wenn Haldenwang zynisch formuliert, „dass man sich wieder auf das Thema Migration stürzt“. Es ist fast, als würde man dem Opfer eines Messer-Mordversuchs vorwerfen, es würde sich „auf das Thema Messergewalt stürzen“.

Erinnern wir uns noch?

Herr Haldenwang und der Verfassungsschutz treten dem Bürger gegenüber in einer merkwürdigen Rolle als Ankläger, Richter und Exekutive auf. Wenn man tiefe Taschen hat wie eine Partei, kann man sich eine Zeit lang vor Gericht zu wehren versuchen, doch dann wird der Verfassungsschutz die Beschuldigung eben neu formulieren. Du magst tiefe Taschen haben – die haben unbegrenzte Taschen.

Wäre das Verhältnis von Staat und Politik eine Ehe, würde mancher Bürger es als „potentiell zerrüttet“ beschreiben. Und wäre es ein Arbeitsverhältnis – und Deutschland eine wirklich voll funktionsfähige Demokratie – dann würden nicht nur die Politiker dem Bürger „kündigen“, sondern viel öfter und wirksamer die Bürger den Politikern.

(Wenn die Politik für den Bürger „arbeitet“, dann zeige man mir bitte, welcher Arbeitgeber auf dieser Welt freiwillig einen von Banken-Skandalen, sonst eher erfolglosen Typen in den höchsten Chefposten einsetzt, oder eine Plagiatorin zur Unternehmenssprecherin macht, und so weiter.)

Erinnern wir uns noch, was eigentlich der Zweck des Verhältnisses zwischen dem deutschen Bürger und seinem Staat war?

Gibt es denn gar nichts?

„Irgendwem musst du dienen, mein Sohn“, so titelte ich 2018. Wir sollen dem Staat dienen, das ist wahr. Aber wem dient der Staat?

Wenn der Bürger sich aber nicht von seinem Staat und seinem Land scheiden lassen kann und will, und wenn eine Entlassung irgendwie immer zur Anstellung noch unfähigeren Personals führt, dann bleibt uns wenig übrig, als den Beziehungstherapeuten aufzusuchen.

„Setzen Sie sich also bitte beide hin“, sagt der Therapeut, „und, lieber Staat, ich weiß, dass Sie viele Beschwerden über den Bürger haben, doch beginnen wir einfach mal mit etwas Positivem. Lieber Bürger, gibt es denn gar nichts, was dir Hoffnung gibt?“

Der Bürger aber, schaut Therapeut und Staat an, und er sagt: Am Wochenende wurde der Herr Maaßen zum Vorsitzenden der Werteunion gewählt. Das ist quasi die ,CDU in der CDU‘.

Ein Herr Merz fordert Maaßens Austritt aus der CDU (so welt.de, 29.1.2023), doch wenn gewisse Leute schäumen, dann weiß man, dass das Gute noch nicht ganz verloren hat.

Weiterschreiben, Wegner!

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