Dushan-Wegner

29.11.2023

Der Fall Ofarim, Kapitel 2: Intermezzo in Hannover

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »Wohin?!!«
Deutschland ist so sehr damit beschäftigt, noch immer das Dritte Reich zu bekämpfen, auf Davidstern-Ketten-Fakes hereinzufallen und Vogelschlag zum Anschlag zu erklären, dass es ganz die Leute ignoriert, deren Absichten wirklich denen von damals ähneln.
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Dieser Essay ist der zweite Teil einer Trilogie über den Fall Ofarim. Falls nocht nicht, können Sie mit dem ersten Teil einsteigen!

Präzise ein Jahr nach Gil Ofarims Video ereignete sich in Hannover »etwas«. Dieses »Etwas« war, dass eine Scheibe der dortigen Synagoge zerbrach.

rnd.de, 5.10.2022 titelte: »Fenster von Synagoge in Hannover eingeworfen – am höchsten jüdischen Feiertag« und schrieb weiter: »Während des Gottesdienstes am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur werfen Unbekannte eine Scheibe einer Synagoge in Hannover ein. Der Vorsitzende der Gemeinde zeigt sich ›zutiefst schockiert‹.«

Josef Schuster sprach für den Zentralrat der Juden, der »gestrige Anschlag in Hannover« sei ein »weiteres Zeichen für den wiedererstarkten Judenhass in Deutschland in den letzten Monaten und Jahren und damit nicht zusammenhangslos.« (zentralratderjuden.de, 6.10.2022)

Und: »Der Anschlag, kurz vor den Landtagswahlen in Niedersachsen, muss ein erneutes Signal an die Politik sein, den Kampf gegen Antisemitismus und Radikalismus jeder Art niemals zu vernachlässigen.« (Wenige Tage darauf würde Herr Schuster wieder gegen die Oppositionspartei AfD agitieren, siehe etwa augsburger-allgemeine.de, 15.10.2022 – warum die Altparteien ihn bloß so mögen?)

Auch Israels Botschafter Ron Prosor goss Öl ins rhetorische Feuer: »Wer einen Stein wirft, zögert auch nicht, eine Kugel abzufeuern. 3 Jahre nach Halle wurde in Hannover eine Synagoge angegriffen. Ich bin sicher, die Behörden werden die Täter schnell festnehmen. Juden müssen sich in Deutschland sicher fühlen, besonders in ihren Gotteshäusern.« (@Ron_Prosor, 16.10.2022)

Nun, die »Täter« wurden tatsächlich festgestellt, aber nicht festgenommen. Es stellte sich bald heraus: Der antisemitische Attentäter, der womöglich bald nicht zögern würde, »eine Kugel abzufeuern«, war wohl ein Vogel, der gegen die Scheibe geflogen war (siehe meinen Essay dazu).

Dem Zentralrat der Juden gelingt es, in seinem Nachtrag zum Hannover-Statement noch etwas von den »zunehmenden antisemitischen Übergriffen der letzten Jahre« unterzubringen – womit rhetorisch also selbst der verirrte Vogel die Thesen irgendwie bestätigt.

Jener Vogel singt nicht mehr und feuert auch keine Kugeln ab.

Wir springen also ein weiteres Jahr in der Zeit zum Heute, zum Sänger Ofarim und seiner, wie inzwischen vermutet wurde, Räuberpistole.

Nächster Akt

Schon früh schienen Überwachungsvideos die Beschuldigungen Ofarims zu widerlegen. Der beschuldigte Mitarbeiter wehrte sich. Es wurde Anzeige gegen Ofarim wegen Verleumdung gestellt. Und tatsächlich stellte die Staatsanwaltschaft die Beschuldigungen gegen den Hotel-Mitarbeiter ein und erhob Klage gegen den Beschuldiger (welt.de, 31.3.2022).

Nachdem er die Vorwürfe gegen das Hotel zwei Jahre lang aufrechterhalten hatte, gestand Gil Ofarim nun plötzlich und endlich, was doch die meisten Beobachter inzwischen vermutet hatten: Es war alles gelogen (welt.de, 29.11.2023).

Will man wissen, was Josef Schuster, also der Zentralrat der Juden dazu sagt, so erfährt man, dass er Gil Ofarims Verhalten »verurteilt« (juedische-allgemeine.de, 28.11.2023).

Wir lesen keine Bitte um Vergebung seitens des Zentralrats für sein eigenes Verhalten – im Gegenteil!

»Es ist richtig, bei einem Antisemitismusvorwurf auf der Seite des Betroffenen zu stehen, ihm beizustehen und die Antisemitismuserfahrung zunächst nicht in Frage zu stellen« heißt es auf zentralratderjuden.de aktuell.

»Wir verurteilen das Verhalten von Gil Ofarim«, heißt es, und: »Er muss in jeder Hinsicht die Konsequenzen für seine Lüge tragen.«

Damit wird aber auch implizit gesagt, dass Josef Schuster und der Zentralrat für ihr eigenes Verhalten und ihre eigene Rolle bei der Verbreitung jener Lüge keine negativen Konsequenzen tragen – wieder: im Gegenteil.

Aktuell wird gemeldet, dass der Zentralrat künftig mehr Mittel vom Staat erhält (deutschlandfunk.de, 25.11.2023). Die Namen der Unterzeichner des entsprechenden Abkommens: »Faeser« und »Schuster«.

Des Sinns entleert

Ich meine, es war der (von den deutschen »Guten«) ungeliebte Jude Henryk M. Broder, der sinngemäß etwa sagte, die Deutschen seien so sehr damit beschäftigt, noch immer Hitler zu bekämpfen, dass sie gar nicht mitbekommen, dass jene, die Hitlers Werk an den Juden »vollenden« wollen, sich in Deutschland breit machen.

Personen wie Ofarim und Schuster, die deutschen Antisemitismus sehen, wo keiner ist, beschädigen damit thematisch die Idee eines institutionellen Kampfes gegen den Antisemitismus.

Wenn Ofarim sich seine Davidstern-Diskriminierung ausdenkt, lässt er uns natürlich fragen, was an seinen Geschichten wie der vom Hakenkreuz in der Schulbank dran ist. Wir kennen ja die verschiedenen Storys über Hakenkreuz-Schmierereien etwa durch Syrer (welt.de, 10.4.2016) oder Grüne (bild.de, 3.9.2022), die uns fragen lassen, wer außer Linksgrünen und Einwanderern überhaupt noch die Swastika im Sinne des Dritten Reichs verwendet.

Schuster ließ sich zu dem Thema 2015 zitieren, »dass ein erkennbarer Zuwachs des Antisemitismus unmittelbar durch die Migrationswelle nicht erfolgt ist« (orf.at, 28.3.2021). Schuster hetzt, dass die AfD »antisemitische Denkmuster in die Mitte der Gesellschaft« trage (br.de, 21.10.2023) und »mitverantwortlich« sei »für das veränderte politisch-gesellschaftliche Klima im Land« (deutschlandfunk.de, 26.11.2018).

Das Bild, das Schuster von der deutschen Gesellschaft, die in ihrer »Mitte« und damit ihrem Herzen angeblich derart böse Gedanken trägt, ist, um jenen Focus-Redakteur zu zitieren, »zum Kotzen«.

Viel zu spät, erst als die Politik diese Erkenntnis zu »erlauben« scheint, merkt Schuster ausreichend öffentlich, dass dank offener Grenzen (und damit nicht wegen der ach so bösen AfD) die »Barbaren« »unter uns« sind (Essay vom 15.10.2023).

Schuster und Ofarim tun durch die schnelle Schuldzuweisung nichts weniger, als für weite Teile der deutschen Gesellschaft das Thema Antisemitismus – und damit des Kampfes dagegen – seiner Kraft zu berauben.

Und das ist ein Problem, ein großes Problem.

Wie sollen wir reagieren? Darüber denken wir im dritten Kapitel dieses Dreiteilers nach!

Weiterschreiben, Wegner!

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