Dushan-Wegner

04.09.2022

Die neue Ehrlichkeit

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Foto von Ybrayym Esenov
Politiker zeigen Verachtung für den Wähler inzwischen offen. Bidens Beschimpfungen der Bürger, Baerbocks »Egal« oder dieses Entlastungspaket, welches der geschröpften Mittelschicht nur demütigende Brosamen zurückgibt: Ich nenne es die »neue Ehrlichkeit«.
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Etwas ist neu. Ein Blick auf dushanwegner.com/liste/ zeigt mir, dass ich mich dem Essay Nr. 1500 nähere, doch in den letzten Essays ist etwas anders geworden.

Diese Texte beginnen 2016. In den ersten Jahren versuchte ich, die wahre Wahrheit hinter der verkündeten Wahrheit zu finden, Widersprüche aufzuzeigen, und für das alles wohlgesetzte Worte zu finden.

In den letzten Wochen hat sich die Grundlage meiner Arbeit verändert.

Sicher, ich habe schon immer auch versucht, einen Weg zu finden, »am Wahnsinn nicht wahnsinnig zu werden«. Doch das Ausgangsmaterial dieses Bemühens wurde in den letzten Tagen ein sehr anderes.

Früher deckte ich Verborgenes und Widersprüche auf, das war, was Sie mir als Teil der impliziten Jobbeschreibung aufgetragen hatten.

Ich dachte an Leonard Cohens Weisheit, wonach in allen Dingen ein Riss ist, und durch diesen Riss gelangt das Licht hinein.

Jedoch, etwas ist heute neu.

Etwas ist anders.

Es braucht keinen Riss mehr.

Es liegt offen.

Kurzer Rückgriff

»Die da oben« verstellen sich nicht mehr. Erlauben Sie mir bitte einen schnellen Rückgriff.

Kürzlich erst schrieb ich von der Außenministerin, die offen bekannte, wie wenig sie kümmert, was ihre deutschen Wähler denken (»Egal, was meine deutschen Wähler denken«, 2.9.2022).

Jedoch, nicht nur die Grüne klang erfrischend ehrlich. Offen in ihrer Motivation wirkte auch Staatsfunk und Konzernmedien, die statt die Ministerin zum Rücktritt aufzufordern, spannende Verschwörungsmythen erfanden, die wörtlichen Zitate der Außenministerin seien »Desinformation« von »Kreml-nahen« Akteuren.

Ich habe gehört, dass Funktionäre in Russland sich nicht schämen, dreist und offensichtlich zu lügen. In Russland soll es ein Machtbeweis sein, offensichtlich und plump zu lügen, und die Hörer zwingen zu können, so zu tun, als würden sie es glauben. – Es könnte ein ähnlicher Machtbeweis des deutschen Propagandastaates und seiner Journalisten sein, die Bürger zwingen zu können, so zu tun, als wäre das, was sie mit eigenen Augen sehen, eine »Desinformation« und also nicht real.

Wir seufzen: Na, immerhin sind sie jetzt überraschend ehrlich!

Mehr davon!

Im Essay »Facebook, FBI und du« (22.8.2022) beschrieb ich, wie der Facebook-Chef erfrischend offen zugab, dass man vor der »Wahl« 2020 in den USA als Reaktion auf eine Warnung des FBI eine für Biden ungünstige Meldung zensiert hatte.

Im Essay »Neue Staatsfeinde und jetzt kein Haus« (25.8.2022) beschrieb ich, wie die Politik erfrischend offen zugibt, dass sie Proteste leidender Bürger erwartet – und dass sie gedenkt, deren Initiatoren als »neue Staatsfeinde« zu bekämpfen – mit Methoden, die erfrischend offen an Diktaturen erinnern.

Im Essay »Kurzfristiger Personalausfall und neue Ehrlichkeit« (27.8.2022) beschrieb ich, dass die Formulierung »kurzfristiger Personalausfall« recht offen durchscheinen lässt, wie wenig Wert man den Menschen beimisst, die einem als Kunden oder als Angestellte anvertraut sind.

Im Essay »Maskenpflicht ist Demütigung des Pöbels« (24.08.2022) schrieb ich über die neue Angewohnheit der Politik, ganz selbstverständlich selbst keine Corona-Masken zu tragen, während »der Pöbel« bestraft wird, wenn er es nicht tut.

Fast auf den Tag genau zwei Jahre zuvor, im Essay vom 23.8.2020, hatte ich noch übers »Coronatheater« geschrieben. Damals taten Politiker zumindest fürs Foto so, als würden sie an die Notwendigkeit von Masken glauben, weil Gesetze doch auch für sie selbst gelten.

Das Coronatheater ist vorbei, jetzt herrscht die »neue Ehrlichkeit«.

Ach, ich könnte noch weitere Essays der letzten Wochen zitieren. Sie können die Liste aber auch selbst durchgehen.

Lassen Sie mich dafür lieber ein tagesaktuelles Beispiel der »neuen Ehrlichkeit« notieren. Es stammt aus den USA, und wie so vieles dort ist es »überlebensgroß«.

»MAGA Republicans«

Die Leute hinter Joe Biden haben den senilen Greis eine Rede halten lassen, die gar nicht mal mehr verhehlen wollte, dass man sich von »V for Vandetta« inspiriert war – oder womöglich von sehr realen Vorbildern der Geschichte.

Der US-Politiker und Twitterer J.D. Vance zeigt das Bild jener verstörenden Redeszene, und er kommentiert dazu:

I can’t believe this is a real photograph. It depicts the president of our nation, as he took to the airwaves and spoke about his fellow citizens as if they were sewer rats. (@JDVance1, 2.9.2022, meine Übersetzung)

Zu Deutsch etwa:

Ich kann nicht glauben, dass dies ein echtes Photo ist. Es zeigt den Präsidenten unserer Nation, wie er im Rundfunk auftrat und zu seinen Mitbürgern sprach, als ob sie Kanalratten wären. (@JDVance1, 2.9.2022, meine Übersetzung)

Mich erinnerten die schlimmen Biden-Bilder ja gleich an den Film »V for Vendetta«, und dann fand ich, dass es so vielen anderen Menschen ähnlich ging, dass darüber Artikel geschrieben wurden (npr.org, 2.9.2022).

Biden-Apologeten bestanden darauf, dass die Szene aus anderer Perspektive etwas weniger bedrohlich aussah (ausführlich Perspektiven-Analyse: allsides.com, 2.9.2022). Ach ja, die Worte waren hasserfüllt und spaltend genug – das Gesagte was so aggressiv, dass einige Mainstream-Netzwerke sich weigerten, Bidens Hassrede zu übertragen (dailymail.co.uk, 3.9.2022).

In den USA stehen die »Midterm-Wahlen« an, und Biden hielt eine hasserfüllte Wahlkampfrede (wohl auf Steuerzahlerkosten). Die Kulisse war dunkel, triefend blutrot und brachial martialisch, und bei CNN machte man »aus Versehen« aus dem Rot ein niedliches Rosa (nypost.com, 3.9.2022).

In der offiziellen Mitschrift von Bidens Hetzrede findet sich allein 10 mal der Begriff »MAGA Republicans«. (whitehouse.gov, 1.9.2022)

»MAGA«, das steht für »Make America great again« – zu Deutsch etwas: »Macht Amerika wieder großartig«.

»MAGA Republicans« steht für alle Amerikaner, die Donald J. Trump wählten und wieder wählen würden.

Man könnte viele Hass-Sätze aus Bidens offen anti-demokratischer Rede herausgreifen. Ich wähle beispielhaft eine, die besonders deutlich die offene Perfidie der Mächte hinter Biden demonstriert.

MAGA Republicans have made their choice. They embrace anger. They thrive on chaos.  They live not in the light of truth but in the shadow of lies. (whitehouse.gov, 1.9.2022)

Zu Deutsch etwa:

MAGA-Republikaner haben ihre Wahl getroffen. Sie machen sie die Wut zu eigen. Sie leben vom Chaos. Sie leben nicht im Licht der Wahrheit, sondern im Schatten der Lügen. (whitehouse.gov, 1.9.2022, meine Übersetzung)

Das ist nicht die Sprache demokratisch gesinnter oder auch nur geistig stabiler Menschen. Das ist die Sprache einer durchgeknallten, buchstäblich brandgefährlichen Sekte. Wenn die Antifa-Terroristen vor den nächsten Wahlen noch eine emotionale Rechtfertigung brauchen sollten, amerikanische Städte in Flammen zu setzen, Geschäfte zu zerstören und Bürger zusammenzuschlagen, hier wird sie geliefert, erschreckend ehrlich und offen.

Wer auch immer dem senilen Biden diese irren Worte aufgeschrieben hat, er zeichnet den politischen Gegner buchstäblich als Satan, als Dämonen, als Nichtmenschen. Ich fürchte, dass derjenige, der das schrieb, genau weiß, was er tut – und er ist sehr ehrlich und offen darin.

Einst erklärte der Rassist Joe Biden noch, wer ihn nicht wähle, sei kein Schwarzer (»you ain’t black«, siehe YouTube). Heute erklärt er alle, die seinen Rivalen wählen, de facto für Dämonen und Staatsfeinde.

Immer wieder behauptet Biden, sein politischer Gegner würde das Gesetz nicht achten, et cetera. Biden erklärt de facto den politischen Gegner zum Staatsfeind (schauen Sie selbst, bei YouTube).

Nicht nur optisch erinnert Bidens bizarrer Auftritt an dunkle Zeiten und Regime – die buchstäbliche Dämonisierung des politischen Gegners ist prototypisch für Regime, die optisch so auftreten wie der greise Joe Biden.

Nein, sie ist nicht nur erfrischend, diese »neue Ehrlichkeit«, sie kann auch erschreckend sein. Biden beschimpft den politischen Gegner als Dämonen, kaum noch als Menschen mit Menschenrechten – während er sich optisch als Satans eifrigster Priester präsentierte.

Ich wiederhole es: Schauen und urteilen Sie selbstHier ist das YouTube-Video. Die offizielle Mitschrift spricht im Titel vom »Continued Battle for the Soul of the Nation«, etwa »Andauernder Schlacht für die Seele der Nation«. – Zumindest optisch lässt Biden wenig Zweifel daran, dass er an »Seelen« drankommen will. Genügt ihm denn das Beschnüffeln und Betatschen von Frauen und Mädchen nicht mehr?

Bidens »neue Ehrlichkeit« war so brutal, dass sogar in der Privatpostille des Jeff Bezos, der Washington Post, von einer »highly inappropriate partisanship« geschrieben wurde (washingtonpost.com, 2.9.2022), zu Deutsch etwa: »hochgradige unangemessene Parteinahme«. (Vergessen wir nicht: Dies war keine Wahlkampfveranstaltung – und selbst für eine solche wäre es krass autoritär. Er sprach als US-Präsident! Das ist wohl die »neue Ehrlichkeit«.)

Die »neue Ehrlichkeit« ist derart ehrlich, dass selbst die eigenen Leute schon mal erschrocken schlucken.

Wir könnten nicht

Ich betitelte den Essay vom 21.1.2021»Die Welt, wie wir sie kannten, ist vorbei«. Darin beschrieb ich die gespenstische Vereidigung des Joe Biden, wo statt anwesenden Gästen ein buchstäblicher Friedhof mit Flaggen inszeniert wurde – militärisch abgeschirmt von Wählern, die sich betrogen fühlten.

Die Welt, wie wir sie kannten, war an dem Tag tatsächlich vorbei.

Dies ist eine neue Welt. Ich kann verstehen, wenn Menschen nervös sind – ich bin es auch.

Die Mächtigen sind ehrlich, brutal ehrlich.

Man lässt uns spüren, dass Gesetze nur für uns gelten, nicht für die. Wir könnten uns nicht auf »Erinnerungslücken« berufen, wenn etwa das Finanzamt uns etwas fragt. Wir könnten nicht ad hoc irgendwelche »Regeln« erfinden, wonach Gesetze nicht für uns gelten. Wir können es nicht als »russische Desinformation« abtun, wenn man uns wörtlich zitiert. Wir können nicht den politischen Gegner als Dämon und Staatsfeind beschimpfen und uns darauf verlassen, dass Journalisten und Behörden den Rest erledigen.

Wir können es nicht, und wir wollen es ja auch nicht. Die aber können es, und sie wollen es, und also tun sie es.

Und sie sind inzwischen offen darin.

Während ich diesem Essay zu Ende schreibe, hört man in den Nachrichten vom »Entlastungspaket«. Ich zitiere dazu einfach mal den Twitterer Manaf Hassan:

Sie enteignen die Mittelschicht, geben ihr einen Bruchteil zurück und glauben allen Ernstes, dass man sie dafür feiert. #Entlastungspaket (@manaf12hassan, 4.9.2022)

Rentner sollen einmalig ein Brosamen von 300 Euro erhalten (welt.de, 4.9.2022). Ein Basis-Verbrauch an Strom soll günstig(er) sein – was darüber geht, das kann beliebig teuer sein, und der Durchschnitt ist damit weiterhin ruinös (soweit ich das aktuell überblicke).

Welche der Idiotismen, die überhaupt zu dieser Situationen führten, sollen zurückgenommen werden?

Keine.

Und man ist offen und ehrlich damit.

Dies ist eine wahrlich neue Zeit.

Wir haben längst damit angefangen, uns zu arrangieren. Man muss ja weiterleben, so oder so. Wohl dem, der beizeiten seinen Innenhof sicherte (Essay vom 9.12.2018: »Das Lied der Innenhöfe«) und seine Relevanten Strukturen kennt.

In die Zunge

Dies ist die Zeit der »neuen Ehrlichkeit«, und noch nie biss das Wort »Ehrlichkeit« so schmerzhaft in die Zunge, die es aussprechen wollte.

Ich gebe mir selbst den Rat, ehrlich zu sein über den Zustand der Welt – und bezüglich meiner Rolle in diesem Drama, realistisch betrachtet.

Die sind ehrlich zu uns. – Wir selbst sollten ebenfalls ehrlich zu uns selbst sein.

Noch immer (wie schon im Essay vom 11.11.2019) klingen mir jene unsterblichen Worte des William Shakespeare im Ohr, mit denen ich auch diesen Essay Nr. 1464 schließen will: »This above all: to thine own self be true« (Hamlet, 1. Akt, 3. Szene) – zu Deutsch etwa: »Dies über allem: zu dir selbst sei wahrhaftig«, oder auch: »dir selbst bleibe treu«.

Oder, noch kürzer gesagt: Niemals, wirklich niemals, belüge dich selbst.

Weiterschreiben, Wegner!

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