Dushan-Wegner

11.08.2022

Gegenwind für »Faktenchecker«

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Elsa Guyader
Faktenchecker verkünden, was »die Wahrheit« ist. Das Problem ist, dass es »die Wahrheit« so gar nicht gibt – außer in Religionen. Was also ist es, das »Faktenchecker« verbreiten? Doch nicht etwa die Propaganda ihrer Geldgeber?!
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Normalerweise – aber was ist heute schon »normal«? – greife ich in jedem meiner bislang über 1400 Essays eine aktuelle Nachricht auf.

Es ist stets eine Nachricht, die mich persönlich bewegte. Zu oft ist es eine unangenehme Nachricht. Man könnte das zynisch kommentieren: »bad news is good news«. Das heißt, das schlechte Nachrichten mehr Aufmerksamkeit erregen, sprich: »interessieren«. (Es ist aber schlicht evolutionäre und damit menschliche Logik: Wem es angeboren ist, auf Gefahren zu achten, wird wahrscheinlicher überleben.)

Ich selbst aber habe jenen Wittgensteinschen Auftrag auf mich genommen, dass es die Aufgabe der Philosophie sei, »der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas« zu zeigen. Wenn ich eine Nachricht aufgreife, die mich aufregt oder mir Angst bereitet, dann suche ich immer für mich nach einem Weg, »am Wahnsinn des Tages nicht selbst wahnsinnig zu werden«. Die »Fliege« bin ich, doch ich bin nicht die einzige Fliege in diesem Fliegenglas.

Das sind die beiden Grundbausteine meiner Essays: eine Nachricht und ein innerer Ausweg.

Ob Sie seit Jahren meine Texte lesen oder mich gerade erst entdeckt haben, Sie begleiten mich bei eben dieser Sisyphos-Aufgabe. Lesend werden Sie gewissermaßen selbst zum Sisyphos. Hoffentlich stimmen wir Albert Camus darin zu, dass wir uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen müssen. (Zum Neuen Sisyphos siehe auch die Essays »Lass los, Sisyphos!« vom 27.8.2018 und »Sisyphos hat sich aufs Sofa gesetzt« vom 12.4.2020.)

Fachkenntnis in Sachen Wahrheit

Heute aber, liebe Leser, habe ich eine positive Nachricht für Sie! Ich freue mich, und ich will Sie für meine Freude gewinnen!

Der wunderbare Argo Nerd (@argonerd) hat mich auf einen aktuellen Text in der Berliner Zeitung hingewiesen, und diesen Text hätte ich wirklich, wirklich nicht in einem Mainstream-Medium erwartet.

Der Text trägt den Titel: »Was tun »Faktenchecker«? An den Möglichkeiten von Wahrheit sind sie nicht interessiert« (berliner-zeitung.de, 10.8.2022).

In der Einleitung heißt es dann: »Das Handwerk aller ›Faktenchecker‹ ist Konformitätsprüfung der öffentlichen Redebeiträge, damit sie in den gewünschten Meinungs- und Faktenkorridor passen.«

Mir verschlug es glatt die Sprache. So viel fundierter Realitätssinn in einem Mainstream-Medium?!

Die Formulierung »Möglichkeiten von Wahrheit« in der Überschrift ließ mich ja bereits positiv stutzen.

Jemand, der für sich in Anspruch nimmt, »die Wahrheit« zu sagen, ist ein Dogmatiker – oder eben ein »Faktenchecker«. Wenn nun plötzlich ein Mainstream-Autor über »Möglichkeiten von Wahrheit« schreibt, spitzen sich meine Ohren, ähnlich wie die Ohren unseres Patenhundes, wenn der aus der Küche ein Brutzeln hört.

Es eint die meisten professionellen »Faktenchecker«, dass sie wenig theoretische Fundierung für ihren Begriff von »Wahrheit« vorweisen können – also würden Sie (oder die von ihnen instruierten Journalisten) niemals etwas wie »Möglichkeiten von Wahrheit« schreiben.

Ich klickte auf den Namen des Autors, ein gewisser Michael Andrick – und seine Autorenseite bei der Berliner Zeitung weist ihn als promovierten Philosophen aus.

Aha, das erklärt die Fachkenntnis in Sachen Wahrheit.

Toll!

Gewagte Fußnote

Der sehr empfehlenswerte Artikel behandelt philosophisch-psychologische Probleme des Begriffs »Wahrheit« und ihrer Äußerung – und warum es unwahrscheinlich ist, dass sogenannte »Faktenchecker« sich diesem tatsächlich nähern.

Die Gedanken und Ausführungen sind nicht per se neu – und das ist gut so! (Wer aus der hohlen Hand einen vollständig neuen Wahrheitsbegriff einführen wollte, wäre kaum ernstzunehmen.)

Ja, ich würde sogar wagen, Fußnoten anzubringen. Etwa: Der Autor sagt, dass »Faktenchecker« tatsächlich eine »Konformitätsprüfung« betreiben. Er hätte zu Bildungszwecken zusätzlich ausführen können, dass die Prüfung neuer Aussagen auf ihre Kohärenz zu bestehenden, bewährten Aussagen tatsächlich eine Theorie der Wahrheit ist (siehe plato.stanford.edu: »The Coherence Theory of Truth«), aber wohl auch eine, die nur schlecht geeignet ist, allein neue Erkenntnis zu fördern oder gar Fehler im bestehenden Wissensgebäude aufzudecken. Das bedeutet: Faktenchecker berufen sich – trotz ihrer theoretischen Inkompetenz – tatsächlich auf einen philosophisch bedachten Wahrheitsbegriff, allerdings auf einen denkbar schwachen.

Im Mittelalter reichlich gefährlich

Treue Leser der Freien Denker oder meiner Essays kennen bereits die Kerngedanken jenes Aufsatzes in der Berliner Zeitung. Und gerade deshalb bin ich so froh!

Sollten Sie in der Zwischenzeit jenen Text überflogen haben, vergleichen Sie ihn bitte etwa mit diesen Passagen aus meinem Essay »Wahrheit und Wahrscheinlichkeit«:

(Beginn Zitat:) Welchen Begriff von »Wahrheit« hätten Sie nun also gern?

Da wäre zum einen die »Wahrheit« als schlicht das, was die Autoritäten eine solche nennen, auch entgegen der offenkundigen Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnis (im Fall des Zusammenlebens der Kulturen gilt ein solcher Wahrheitsbegriff ja schon länger – wir nennen die entsprechenden Lügenwahrheiten die »politische Korrektheit«).

Und da wäre zum anderen die »Wahrheit« als bestmögliche Beschreibung dessen, was tatsächlich sich zu ereignen scheint. Die Wahl zwischen den »Wahrheiten«, seien wir ehrlich, ist nicht immer einfach, da die »falsche« Wahrheit zu glauben nicht nur im Mittelalter reichlich gefährlich sein konnte. (Ende des Langzitats aus dem Essay vom 2.6.2021)

In Essays wie »Die Verschwörungsleugner« vom 27.5.2021, »Wahrheit und Wahrscheinlichkeit« vom 2.6.2021 oder natürlich »Der Faktenchecker will dich ins Bett bekommen« vom 4.2.2022 steige ich dann tiefer in den unmöglichen Anspruch der Faktenchecker ein, »die Wahrheit« zu bestimmen:

Das Propagandawort »Faktencheck« soll die erlaubte Wahrheit festlegen, in Abgrenzung zur »falschen Meinung«, auch »Hass und Hetze« genannt, und wer solche »Verschwörungstheorien« öffentlich äußert, der gilt als »Schwurbler« und »Nazi«. (Essay vom 4.2.2022)

Rückblickend bin ich sogar ein wenig stolz auf den Titel und die Kernaussage des Essays vom 22.2.2021.

Der Titel lautete »Provisorische Wahrheit«, und die Kernaussage war dann:

Der Begriff der Wahrheit sollte mental immer durch »provisorisch« ergänzt werden. (Essay vom 22.2.2021)

Und weil ich als Essayist eben immer auch Polemiker bin, fuhr ich fort:

Alle Wahrheit ist provisorisch – und für einige der heutigen Wahrheiten ist provisorisch ein sehr freundlicher, geradezu euphemistischer Begriff. (Essay vom 22.2.2021)

Gerade deshalb

Die Inhalte der neuen Ausführungen in der Berliner Zeitung zum Treiben der Faktenchecker sind selbst nicht neu, wenn auch wohl ziselierter formuliert als bei mir, aber dass diese Gedanken in solcher Klarheit im Mainstream ankommen, das macht mich sehr, sehr froh.

Wahrscheinlich hat jener Philosoph bislang nicht von den Freien Denkern oder mir gehört. Vermutlich würde er über meine gelegentliche Derbheit und meine Freude an Verästelungen und schon mal esoterisch anmutenden Seitenwegen die Augen verdrehen.

Das ist alles okay. Es geht hier mal nicht um mich oder uns. Es geht um die Gedanken, die wir seit nun Jahren vorantreiben, weil wir nicht anders können.

Nein, wir sind nicht Faktenchecker oder Sektierer. Gerade deshalb arbeiten wir hart daran, heute »weniger falsch« zu liegen als gestern – und das bedeutet eben auch, mal zu »Faktenchecken«, was »Faktenchecker« und andere Propagandisten wirklich sind.

Echten Anlass

Morgen können wir dann wieder über die schrecklichen Dinge schreiben, die eben auch passieren, etwa über immer neue Messerattacken.

Ich schrieb ja erst gestern über Deutschlands Messerfreunde, siehe »Praktische Messer und theoretischer Mut«. Aktuell wird wieder von einer Messerattacke im Ausländeramt Wuppertal berichtet. bild.de, 11.8.2021 schreibt über einen 20-jährigen Syrer, doch das ist bestimmt ein Fehler, denn Gewalt wird in Deutschland, wenn ich den Staatsfunk richtig verstehe, nur von Räääääächten ausgeübt. – Egal! Morgen rege ich mich wieder auf, und morgen suche ich dann wieder neue Wege, wie die Fliege aus dem Fliegenglas herauskommt.

Heute will ich guter Dinge sein. Ein richtiger Philosoph hat sehr wichtige Offensichtlichkeiten klug formuliert und in den Mainstream gebracht.

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, so sagt man, doch mein Gefühl ist, dass diese »Schwalben« immer mehr werden.

Ich übe mich heute ganz bewusst im emotionalen Zweiklang. Natürlich sind meine Gedanken bei den Opfern der Gutmenschpolitik, die täglich in Deutschlands Krankenhäuser eingeliefert werden – so sie denn überleben. Das macht mich traurig und hilflos.

Ich erlaube mir bei allen bösen Meldungen zugleich auch froh darüber zu sein, dass immer häufiger auch im Mainstream den Lügen und Halbwahrheiten der Propagandisten und Faktenchecker widersprochen wird.

Es hat sich generell bewährt, auch in Krisenzeiten guten Mut zu bewahren – umso schöner, wenn es einen echten Anlass dazu gibt.

Weiterschreiben, Wegner!

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